Die Lust am Tabubruch

Unter dem Titel “Das Undenkbare denken” will ein Werner Sonne in der FAS von heute mit dem abgedroschensten aller Argumente – “weil Deutschland durch den Holocaust untrennbar mit dem Staat der Juden verbunden ist” – den Druck auf Israel erhöhen, um Frieden im Nahen Osten zu verwirklichen und “deutsche Soldaten an der Grenze Israels” zu stationieren – natürlich allein “zum Schutz des Staates der Juden.”

Woher kommt eigentlich diese Obsession so vieler Deutscher für Israel und den Nahostkonflikt? Syrien brennt, Ägypten ist im Aufruhr, Iran entwickelt Nukleartechnik mit möglicherweise zerstörerischen Zielen – egal! Erde an Sonne (Wortspiel nicht beabsichtigt): Friedensgespräche finden bereits statt. Trotzdem soll Druck auf Israel ausgeübt werden – und nur auf Israel. Wozu? Für Palästinenser ist die Missachtung der Menschenrechte eine Gefahr, die eher von der Hamas ausgeht als vom jüdischen Staat.

Falls es die Siedlungen im Westjordanland sein sollten, die Sonne Kopfzerbrechen bereiten: diese werden ohnehin überwiegend in Arealen gebaut (s. auch hier), die im Falle eines Friedensfahrplans zu Israel gehören werden. Die verbleibenden Siedlungen östlich des Sicherheitswalls werden später wahrscheinlich aufgelöst. Sie sollten also kein Hindernis für den Frieden sein. Unterdessen vertritt mit Mahmoud Abbas ein Präsident die Palästinenser, dessen Amtszeit vor fünf Jahren abgelaufen ist.

Ich fürchte, diese Lust am Tabubruch (“das Undenkbare denken”) in Verbindung mit dem Wunsch, Deutschland als Ordnungsmacht im Nahen Osten zu installieren, ist noch nicht einmal als Satire gemeint.

Was man alles nicht braucht

In den Medien tummeln sich vermehrt Zeitgenossen, die uns erklären wollen, warum die Konsungesellschaft, wie wir sie kennen, abgeschafft gehört. Denn vieles brauchen wir doch gar nicht, obwohl uns die Werbung etwas anderes einreden will. Diese manipuliert uns und das wollen wir nicht.

Man könnte nun sagen, dass es schlimmeres gibt, als Dinge zu kaufen, die man nicht unbedingt braucht. Wer derzeit in Syrien lebt, hat ganz andere Probleme und würde vielleicht nur zu gern sein Leben in einer Ecke der Weltgeschichte fristen, in der man von Wachstumskritik leben kann. Welch ein Luxus.

In Wahrheit ist unter den Dingen, mit denen wir uns im Alltag umgeben, so gut wie nichts, was wir wirklich brauchen – zumindest, wenn wir unser physisches Überleben zum Massstab machen. Wenn es nur darum geht, den Tag zu überstehen, brauchen wir eigentlich nur sauberes Trinkwasser, Nahrung, Kleidung und einen Unterstand für die Nacht. Wenn überhaupt so viel.

Der amerikanische Physiologe Jared Diamond beschreibt in seinem Buch “Kollaps”, dass selbst auf einer so unwirtlichen Insel Südostpolynesiens wie Henderson, eigentlich ein nur dürr bewachsenes Korallenriff, Generationen von Menschen gelebt haben. Und das, obwohl es dort weder Gestein für die Herstellung von Werkzeugen gab noch grössere Bäume, um Häuser zu bauen. Allein die üppige Meeresfauna sorgte für die notwendige Nahrung und sicherte das Überleben.

Nicht entscheidend für unsere physische Existenz sind ganz sicherlich Wecker, Rotweine, Lampen, Romane, Elektroherde, Radiergummis, Duschköpfe, Fussbodenheizungen, Lederschuhe, Wasserpfeifen, Opern, Zeitungsabonnements, Telefone, goldene Füllfederhalter, Sonnenbrillen, elektrische Zahnbürsten oder sämtliche Folgen von “King of Queens” im Kühlschrank.

Trotzdem umgeben sich Menschen überall auf der Welt mit Dingen wie diesen und noch viel mehr. Warum? Vielleicht, weil wir keine Eichhörnchen, Hühner oder Fische sind. Weil es in der Natur des Menschen liegt, sich fortlaufend materiell zu verbessern. Weil wir nicht leben wollen, wie die Bevölkerung auf Henderson es getan hat, bevor ihre Welt unterging, auf der nur verzehrt, aber nichts produziert wurde.

Den Sozialpsychologen Harald Welzer ficht das nicht an. “Man ist in gewisser Hinsicht nicht mehr autonom zu entscheiden, brauche ich das oder brauche ich das nicht”, beklagt er sich und meint damit die Werbemaschine, der wir nicht entkommen können. Noch schlimmer trifft es nur noch diejenigen, die ihren Fernseher anschalten oder ihre Regionalzeitung aufblättern und mit der Ungewissheit leben müssen, vielleicht wieder auf einen Wachstumskritiker zu stossen.

Welzer ist nämlich nicht nur Sozialpsychologe, er weiss offenbar auch genau, worauf wir verzichten können und worauf nicht. Das unterscheidet ihn von der Masse derer, die unbedingt ein Produkt von Apple besitzen wollen, ohne seine Bedenklichkeitserklärung auch nur wahrnehmen zu wollen. “Warum ist es so attraktiv, zu kaufen und zu besitzen, auch Dinge, die man “eigentlich” gar nicht braucht?” ist die Frage, die ihn umtreibt.

Welzers Antworten mögen ausfallen wie auch immer: Lesen wird seine Gefolgschaft sie am Rechner, auf dem E-Reader oder als Buch, bestellt bei Amazon. Dinge, die man eigentlich gar nicht braucht – typische Aporie der Fortschrittsfeinde. Mögen diese sich den Kopf darüber zerbrechen. Die Welt wird nicht daran zugrundegehen, dass Menschen Dinge erwerben, die sie eigentlich nicht brauchen. An einer Tugenddiktatur schon eher.

 

Reza Schah

Der iranische Exilantensender “Manoto” hat einen Film über Reza Shah (1878-1944) produziert, der extrem sehenswert ist, weil er auf z.T. neuentdecktem Archivmaterial beruht. Das Ergebnis ist so beeindruckend, dass “Manoto” aufgrund der überwältigenden Resonanz den Film gestern zum vierten Mal in Folge gesendet hat.

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Diese meine Feinde

Gefragt, wie Christen Kreuzzüge führen, Ketzer verbrennen und Juden verfolgen konnten, wo Jesus doch zur Feindesliebe aufgerufen habe, weiss eine evangelische Theologin (“Pfarrerstochter in vierter Generation”) im Gespräch mit dem Magazin “chrismon” nichts besseres zu antworten als: “Ich weiß es nicht. Mich macht sprachlos, dass man Gewalt sogar mit dem Christentum begründete. Das passt gar nicht zu Jesus.”

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