Wo sich Libanons Chavisten treffen

Dass im Libanon Mein Kampf und Die Protokolle der Weisen von Zion in fast jedem kleineren Buchladen zu kaufen sind, dass in vielen Stadt- und Landesteilen Porträts von Khomeini und Khamenei oder Slogans wie „Die Waffe ist der Schmuck des Mannes“, „Die Waffen sind unser aller Entscheidung“ und „Israel ist ein Krebsgeschwür“ auf zahlreichen grossen Plakaten hängen und dass selbst in der als prowestlich verschrieenen Presse antiwestliche und antiisraelische Klischees Legion sind, ist bekannt. Dennoch trifft man hier immer wieder sehr klarsichtige Menschen. Es dauert nur oft lange, bis man so weit miteinander warm geworden ist, dass man über bestimmte Themen sprechen kann.

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Mitteilungen aus Kilis (10)

Die irakischen Stämme verkünden die Schaffung einer Stammesarmee und verbrennen den Steuerbescheid. Natürlich gibt es keinen Zweifel, dass al-Maliki auf einer Linie mit Bashar al-Assad liegt. Die Situation im Irak steht kurz vor einem Konfessionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten.

Denn die irakische Regierung ist nichts als eine sektiererische Regierung, die einen Hass auf die Sunniten hat, und Nuri al-Maliki ist nicht mehr als ein Dieb, ein Diktator und ein Mafiaboss, der Sunniten tötet. Das ist nichts neues. Die durchgesickerten Wikileaks-Dokumente haben viele Fakten ans Licht gebracht. Nun scheint es, dass die Zeit reif ist.

Der syrische Widerstand gegen Assad wird mit dem irakischen Widerstand Hand in Hand gehen. Aus mehreren Gründen: einer gemeinsamen Stammeszugehörigkeit, aus konfessionellen Gründen und wegen der Geographie. Die kommende Woche wird sich stark zugunsten des syrischen Widerstandes entwickeln – Öl für Waffen.

Nachdem Assad das Land verbrannt hat, ist es an der Zeit, ihm einzuheizen und allen, die ihm beistehen. Schon bald wird es soweit sein. Syrer und Iraker werden nicht an den Grenzen ihres Landes haltmachen.

Der Westen, der dasteht und Assad grünes Licht für das Töten von Sunniten gibt, ist derselbe, der in Mali interveniert. Und die Welt, die der syrischen Tragödie zusieht, ist dieselbe, die Friedenstruppen nach Mali entsendet. Eine klare Doppelmoral, für die der Westen bald den Preis zahlen wird. Nicht ich sage das, sondern die Situation.

Nach der Zerstörung der Städte in Syrien und zuvor der Zerstörung der Städte im Irak glaube ich nicht, dass diese sunnitischen Stämme mit ihrer demographischen und finanziellen Kraft noch etwas zu verlieren haben. Wenn der Krieg das ist, was die Welt uns auferlegt hat, dann sind wir Meister des Krieges und die Araber berühmt für ihre langen Kriege, die vierzig Jahre dauern.

Ich frage mich, ob diejenigen, die den Krieg entfachen und uns in ihn hineindrängen, überhaupt in der Lage sind, die Resultate dieses Krieges auszuhalten? Der Krieg zieht am Horizont auf und mit ihm die grosse humanitäre Tragödie.

Viele Waisen und viele Witwen – es waren die Frauen und Kinder, die für die Rekrutierung in einem Krieg bezahlt haben, der ihnen aufgezwungen wurde. Es ist der Krieg um der Würde willen, um des Ausharrens willen. Die Syrer haben wieder und wieder an die Welt appelliert, doch ohne Erfolg. Oft haben wir gewarnt, doch wollte die Welt unsere Warnungen nicht hören.

Jetzt stehen wir am Rande des dritten Weltkrieges. Ich sage: Der Krieg wird früher oder später wie der Golfkrieg werden. Der islamische Radikalismus ist das Schreckgespenst, mit dem der Westen argumentiert, um Assad einen Vorwand für das Abschlachten des syrischen Volkes zu liefern.

Die Syrer sagen: Wenn der islamische Radikalismus uns von der Brutalität der Schiiten und der Brutalität Assads befreien wird, dann sind wir alle radikale Islamisten.

Türkische Republik, 27. April 2013

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz)

Syrien nach Assad (3)

Dass diese Zustände kein Alleinstellungsmerkmal der arabischsprachigen Welt sind, zeigen die Memoiren des iranischen Klerikers Scheich Ebrahim Zanjani, der von ganz ähnlichen Missständen im Iran zu Beginn des 20. Jahrhunderts berichtet. In jedem Falle gilt: Angesichts einer Staatsmacht, die für nichts als Repression und Korruption steht, während der einzelne Bürger eine Gegenleistung bekäme, wird niemals auf Loyalität der Bevölkerung zählen können.

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Mitteilungen aus Kilis (9)

Ich setzte mich, während die Stimme des grossen Künstlers Abdelhalim Hafez erscholl, der ein Gedicht von Nizar Qabbani intonierte, und las. Das Gedicht sagte sinngemäss: „Mein Sohn, gestorben ist als Märtyrer wer sich für den Geliebten geopfert hat.“

Ich frage mich: Jeden Tag werden mehr als einhundert Syrer getötet und alle sind sie Märtyrer, alle haben sie sich für den Geliebten geopfert. Aber für welchen Geliebten? Ist es das Geld? … der Reichtum? … das Vaterland? … Bashar al-Assad oder etwas anderes? Was ist mit den Menschen, die durch Chemiewaffen und Skud-Raketen in ihren Häusern sterben?

Ich setzte mich, um über die Zukunft nachzudenken, als das Lied den nächsten Abschnitt erreichte: „Aber dein Himmel regnet und dein Weg ist versperrt, versperrt, versperrt …“

Ja, vielleicht ist es nicht mein Weg, der versperrt ist, aber der Weg aller Syrer. In dem Land, in dem wir Zuflucht gefunden haben, sind wir nicht besser dran – denn mein Laden, mit allem, was darin ist, wurde gestohlen. Dank der Abwesenheit von Recht und Gesetz.

Aus Syrien erreichte mich die Nachricht, dass sich die Menschen dort Sorgen machen, man könnte ihnen ihr Haus mit allen Sachen wegnehmen! Was soll ich tun? Soll ich nach Aleppo zurückkehren, das sich unter Kontrolle des Regimes befindet und wo der Tod herrscht?

Vor zehn Tagen habe ich ein Haus gemietet, das mich fast $ 1000 pro Monat kostet – und es gibt keine Möglichkeit hier zu arbeiten. Auch wenn ich von mir spreche, so ist meine Lage doch typisch für Syrer. Wenn ich mich umhöre, so bin ich überrascht zu sehen, wie viele versuchen, mit Antiquitäten oder Metallen u.a. zu handeln.

Derweil suchen kämpfende Milizen nach Geld zur Finanzierung von Waffen, was sie nicht davon abhält, die wirtschaftlichen und historischen Reichtümer des Landes zu verkaufen. Leute wie ich sehen sich gezwungen, jeder Tätigkeit nachzugehen, auch wenn sie sich mit der eigenen Überzeugung nicht vereinbaren lässt.

So ganz allmählich verwandele ich mich von einem Autoren in einen Mafiaboss. Nachdenklich lehne ich mich zurück und bedaure es, aber so ist nun einmal der Krieg. Ich bin davon überzeugt, dass es im Krieg keine Ehre und kein Gewissen gibt. Die Welt schaut uns zu, wähend wir brennen.

Soll ich es wagen über das Meer an die Gestade Europas zu fahren oder was sonst? Und was gäbe es in Europa? Andererseits: Soll ich in der Türkei sitzen und betteln? Die Situation treibt den Menschen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte in den Selbstmord.

Vielleicht werde auch ich mich eines Tages dazu erniedrigen, Waffen zu tragen und in einer radikalen islamischen Organisation zu kämpfen. Ich denke über meine Zeichnungen nach, mit denen ich mich ablenke. Ich sage: Was ist der Wert der Kunst in Zeiten des Dschungels?

Ost und West sprechen von einigen radikalen Milizen und al-Qaida. Ich sage: Wer hat sie denn gemacht? Wenn du zulässt, dass das süsse Kätzchen von allen Seiten geschlagen wird, wird es nicht lange ein süsses Kätzchen bleiben.

Es wird sich in einen tollwütigen Hund verwandeln.

Türkische Republik, 18.04.2013

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz.)

Mitteilungen aus Kilis (7)

Die Tage vergehen ohne eine Lösung am Horizont. Zu Beginn des letzten Berichts über die Rückführung einiger syrischer Flüchtlinge war von Aljazeera eine Zahl von 600 genannt worden und so gab es immer wieder Nachrichten von der Deportation der Syrer aus dem Lager Mar’ash, doch ist die Zahl wohl nicht korrekt und dürfte geringer sein.

Was ich aber mit meinen eigenen Augen sah, war, dass vor einer Woche Brot verteilt wurde, welches sich dem Verfallsdatum näherte, seitdem es im April 2012 hergestellt worden war. Als es vor einigen Tagen verteilt wurde, war das zwei Tage vor Ablauf der Haltbarkeit. Ich habe von vielen Fällen gehört, bei denen Syrer hier in Kilis vergiftet worden sein sollen. Deswegen wurde auch eine Beschwerde bei der türkischen Regierung eingericht, damit sie sich der Sache annimmt.

Die letzte positive Sache, die die türkische Regierung für die Syrer getan hat, war die Aufhebung von Verzugsgebühren [für Visaüberziehungen] und die Gewährung von offenen Aufenthaltsbewilligungen, sowie das Ausstellen von Arbeitsgenehmigungen für alle, die arbeiten wollen. Für die Syrer ist das von äusserster Wichtigkeit, denn es wird die bittere Realität der Syrer, die hier leben, umkehren.

Doch der Weg ist noch lang und voller Dornen. Die Dinge bleiben kompliziert und besonders die hohen Mieten, die den Syrern abverlangt werden. Ich kenne einige Familien, die Syrien gen Türkei verlassen haben, ohne irgendwelche offiziellen Papiere. Allerdings erfolgte es die Aufnahme ihrer Kinder in den türkischen Schulen ohne offizielle Urkunden.

Die Nachrichten aus Syrien sind alles andere als gut. Wo manchmal Stromausfälle mehr als fünf Tage andauern und danach nur für einige Stunden wiederkommen. Die Sicherheitslage ist total schlecht.

Vor zwei Tagen war ich in einem Café überrascht zu sehen, dass ein Europäer kommt, um sich den syrischen Kämpfern anzuschliessen. Einer der Kämpfer, die dem Beschuss ausgesetzt waren und eine Behandlung hier in der Türkei erhielten, kämpfte unter dem Banner der Nusra-Front. Man hatte ihn nach Syrien mitgenommen.

Mir persönlich gefiel das nicht. Ich würde von dem Deutschen verlangen zurückzugehen – zurück nach Deutschland.Denn was Syrien mangelt, sind nicht Kämpfer, sondern vernünftige Waffen. Um mich herum sind mehr als 5.000 Kämpfer, und auch wenn sie mir nicht unterstehen, so bin ich mit ihren Führern allesamt befreundet. Sie alle beklagen sich über die Schwäche und den Mangel an Munition, aber nicht über einen Mangel an Kämpfern.

Hätten wir einen Mangel an Kämpfern, so würde ich mich dem Deutschen bei der Verteidigung meines Landes anschliessen. In jedem Fall ist der Deutsche, den man nach Syrien mitgenommen hat, von der Nusra-Front im Stich gelassen worden, als er verwundet wurde. Nicht einen Qirsch hat man ihm gegeben. Dennoch hatte man den Deutschen nach Syrien mitgenommen.

Vielleicht ist das der Wahnsinn und das Opium des Volkes, wie Karl Marx sagte. Aber die syrische Katastrophe ist jetzt ein Präsident, der in Syrien in einem Versteck kauert. Er verbrennt das Land, während die gesamte Welt dem Lodern zusieht.

Türkisch-syrische Grenze, 04.07.2013

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz.)

Nahosterklärer wider die “Medienmeute”

Vielleicht die FAZ? Nein, dort werden die syrischen Anti-Assad-Kräfte als “Rebellen” oder “Aufständische” bezeichnet. Als “Freiheitskämpfer” jedenfalls nicht oder nur in Anführungszeichen. Oder der amerikanische Sender CNN? Nein, dort spricht man von “freedom fighters” meist in Anführungsstrichen. Grundsätzlich bevorzugt man auch hier die Ausdrücke “rebels” oder “insurgents“.

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Mitteilungen aus Kilis (6)

Ein Monat geht zuende, ein neuer beginnt. Vielleicht in einem Monat wird Syrien seinen Rekordstand an Auswanderung und Ermordung erreicht haben.

In einem Café, in dem Syrer hier in der Türkei häufig verkehren, gab es zwei junge Burschen, die sich unterhielten. Der erste sagte: „Hast du mal einen getötet?“ Worauf der zweite engegnete: „Bis jetzt noch nicht.“

Der erste sagte zu ihm: „Sitz hier nicht mir zusammen, sondern geh los und töte jemanden. Dann kannst du wiederkommen und dich zu mir setzen!“

Vielleicht haben sie nur im Scherz geredet, vielleicht auch im Ernst. Es ist jedenfalls bedauerlich, welchen Zustand die Syrer erreicht haben. Gibt es vielleicht auch Menschen, die nach dem Sinn des Mordens fragen?

Ich weiss es nicht, aber die Situation in Syrien muss schnell bereinigt werden, bevor sich ein grosser Teil der Syrer in Mörder verwandelt. Nichts und niemand mehr wird vom Morden verschont. Es ist nichts als eine psychische Krankheit.

Ich bin davon überzeugt, dass die Dinge in Syrien den schlimmsten Zustand erreicht haben. Manche Leute in Syrien töten ohne besonderen Grund – sie töten nur zum Spass!

Die Syrer suchen Tag und Nacht zu überleben. Es scheint, dass die Chance zu leben Tag für Tag geringer wird.

Manche Syrer, die in die Türkei gehen, kehren ganz schnell nach Syrien zurück. Um mit allen Mitteln Geld zu machen, verkauft mancher sein Haus, oder er stiehlt, oder er entführt den Sohn von jemandem. Es gibt keine grossen Unterschiede. Es ist die Kultur des Dschungels, des Überlebens des Stärkeren.

Vielleicht machen meine Worte ja deutlich, wie unabdingbar es ist, eine schnelle und rasche Lösung zu unterstützen, bevor es zu spät ist.

Denn mit jedem Tag gibt es neue Brandherde und noch mehr Zusammenstösse und Auswanderung. Schliesslich fragt sich, welche Seite diese Syrer noch umarmen und sie empfangen kann?

In der Erwartung, dass die Welt sich ernsthaft bewegen wird, werde ich weiter das Café aufsuchen, wo ich mich nicht neben den jungen Mann setzen werde, weil ich noch nicht umstande bin, einen Menschen zu töten.

Vielleicht nicht wirklich.

Türkisch-syrische Grenze, 31.3.2013

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz)

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