Inflation der Nahostexpertise

Im Internet kann man bombastische Webpräsenzen von Leuten finden, die Islamwissenschaften oder Orientalistik studiert, aber noch keinen einzigen Fachaufsatz, keine einzige Rezension und kein einziges Buch, geschweige denn eine Doktorarbeit publiziert haben, sich aber erfolgreich als Referenten für den Nahen Osten anbieten, um ihr Halbwissen unter die Leute zu bringen.

Daran sind die Universitäten schuld, die dieser Inflation der Nahostexpertise durch ein Absenken akademischer Standards und einer zunehmenden Ideologisierung der Geisteswissenschaften Vorschub geleistet haben. Aber auch Journalisten tragen ihren Anteil daran. Womit wir beim “Tagesschau”-Constantin Schreiber und einer Webseite namens “Belltower News” wären.

Ich habe keines der Bücher von Schreiber, der immerhin Arabisch kann und viel Erfahrung in arabischen Ländern gesammelt hat, gelesen, weil mich populärwissenschaftliche Bücher nicht interessieren. Schreiber hat zudem einen Roman verfasst, der ausgeprochen islamkritisch sein soll, was nun “Belltower News” auf den Plan gerufen hat, einer Art Beobachtungsstelle für Rechtspopulismus und -extremismus.

Zwar sind viele Artikel auf “Belltower News” sehr gut recherchiert und sehr lesenswert und ich will hier keine Pauschalkritik an “Belltower News” üben, deren Beiträge ich selber des öfteren geteilt habe. Aber der Verriss von Schreibers Roman hat es in sich, denn sein Verfasser hat bei der Gelegenheit auch noch auf dessen Buch über Schulbücher in islamischen Ländern eingedroschen.

Genauer gesagt: Der “Belltower”-Verriss verlinkt einen Artikel, der nachzuweisen versucht, dass Schreiber nicht auf dem Stand der Wissenschaft ist. Der verlinkte Artikel, den man bei “Belltower News” für zitierfähig hält, versucht Schreibers Buch Übertreibungen und unhaltbare Aussagen nachzuweisen, bietet aber keinerlei Abgleich der Schreiberschen Thesen mit z.B. den Erkenntnissen des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung.

Autor des verlinkten Artikels ist denn auch kein Wissenschaftler, sondern ein Student der Nahostwissenschaft, der offenbar gar nicht weiss, dass es so etwas wie eine akademisch betriebene Schulbuchforschung gibt. Hier zeigt sich die Inflation der Nahostexpertise als Kehrseite einer zunehmenden Ideologisierung der Geisteswissenschaften im Verein mit einem aufsteigenden Empathie-Journalismus: Wenn es darum geht, den Islam vor kritischer Betrachtung in Schutz zu nehmen, ist man nicht mehr wählerisch.

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