Dschihad und olle Kamellen

Was kann die Wissenschaft zu religiösen Konzepten wie dem Dschihad sagen? Nun gibt es mehr als eine Definition; welche die richtige ist, lässt sich jedoch objektiv nicht ermitteln, weil es sich um eine Glaubensfrage handelt. Die Wissenschaft kann im wesentlichen nur drei Dinge feststellen.

Nämlich: Wie der Begriff Dschihad in der Geschichte verstanden wurde; welche möglichen Bedeutungen sich aus dem koranischen Kontext heraus ableiten lassen; und wie der Begriff heute unter Muslimen verstanden wird, also welche Definition wieviele Anhänger hat. Das erste fällt in die Zuständigkeit der Geschichtswissenschaft, das zweite in die der Philologie, das dritte in die der empirischen Sozialforschung.

Das Ärgernis bei so vielen Veranstaltungen und Publikationen, die mit dem Etikett „Dialog“ versehen sind, besteht nun darin, dass meist ein bestimmtes Verständnis von Islam als das wahre propagiert wird, ohne dass klar wird, nach welchem Kriterium dies erfolgt. Offensichtlich wird dasjenige Islamverständnis als das wahre gepriesen, das westlichen Werten von Demokratie und Pluralismus entgegenkommt.

Ein wissenschaftliches Kriterium, auf dessen Grundlage sich eine Unterscheidung in richtiges/falsches Verständnis vornehmen liesse, gibt es aber nicht, da es sich immer um Glaubensfragen handelt, die nur individuell beantwortet werden können.

Nun hat die Eugen-Biser-Stiftung kürzlich ein „Lexikon des Dialogs“ herausgegeben, das sich Grundbegriffen aus Christentum und Islam widmet, in dem es auch ein Lemma „Dschihad“ gibt. Dieser wird im im wesentlichen als geistige Anstrengung definiert, die in bestimmten Fällen auch den bewaffneten Kampf umfassen soll. Diese Definition ist nicht notwendigerweise falsch, weil sie, wie gesagt, sich einer wissenschaftlichen wahr/falsch-Beurteilung entzieht, sie stellt aber schon eine bestimmte Perspektive, eine bestimmte Interpretation dar. Anstatt das so zu sagen, wird jedoch der Eindruck erweckt, diese Definition sei unstrittig und entspreche dem allgemeinen Verständnis. Dies ist nicht der Fall.

Historisch jedenfalls wurde Dschihad vornehmlich als Mittel zur Ausdehnung eines „in unentwegter ritueller Praxis zur Gleichgestimmtheit aller Glieder getriebenen Gemeinwesens“ (T. Nagel) verstanden, was schon an seinem Komplementärbegriff des Ribat (ribāṭ), dem Halten neueroberter Gebiete, deutlich wird. Auch dass es sich beim Dschihad in den ersten Jahrhunderten nur um Verteidigungskriege gehandelt habe, trifft historisch nicht zu. Der Dschihad wurde vielmehr in der Absicht geführt, Ungläubige zu unterwerfen, was die Möglichkeit der Bekehrung einschloss. Max Weber hatte richtig erkannt, dass aus islamischer Sicht der gottgewollte Zustand in der „Gewaltherrschaft der Gläubigen über die geduldeten Ungläubigen“ lag. Später hat sich das Verständnis des Begriffes aufgefächert und konnte ganz unterschiedliche Bedeutungen für unterschiedliche Zwecke annehmen.

Egal wie der einzelne Gläubige für sich das Konzept des Dschihad heute legitimerweise definieren mag (und sei es als Kampf „für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“), historisch wurde er vor allem so verstanden, wie oben umrissen. „Die medinische Gemeinde war schon bald zu einer Kämpfergemeinschaft geworden, deren Einsatz im Kampf, djihād, in zahlreichen Versen anklingt“, schreibt Angelika Neuwirth in ihrem Buch Der Koran als Text der Spätantike  (2010). Zwar haftet die ältere Bedeutung von Dschihad als asketisches Ideal (vgl. 29,6; 69) „dem Begriff auch weiter an, als er zur Bezeichnung des militärischen Kampfes geworden ist“ (61,11), doch bleibt er mit dem ebenfalls im Koran vorkommenden und weniger schillernden Begriff Qital (qitāl = Kampf) in vielen Fällen austauschbar.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Sure 5,32, die gerne als Beleg für den reinen Verteidigungscharakter des Dschihad herangezogen wird. Noch einmal: Es ist ohne Frage legitim, wenn der einzelne Gläubige  für sich diesen Vers so interpretiert. Es ist aber unseriös, wenn unter dem Etikett der Wissenschaft diese Interpretation als objektives Faktum ausgegeben wird. Der Islamwissenschaftler Tilman Nagel (und schon Jahrzehnte vor ihm Carl Brockelmann!) hat darauf hingewiesen, dass der Kontext jedenfalls eine andere Interpretation plausibler macht, es also nicht um ein allgemeines Tötungsverbot geht, sondern darum, lediglich die Mitglieder der frühen muslimischen Gemeinde vor Übergriffen im Rahmen der Blutrache zu schützen.

Dieser Entwicklung des Begriffes wie auch der Tatsache, dass er nicht zu allen Zeiten und von jedem Gläubigen in derselben Weise verstanden wurde, sollte man sich bewusst sein, wenn man über den Dschihad oder andere Begriffe diskutiert, anstatt einer aller zeitlichen Wandlungen enthobenen Definition anzuhängen, die jegliches Begreifen für die Gründe zunichte macht, aus denen heraus heutige Islamisten ihr gewalttätiges Geschäft glauben betreiben zu dürfen. Wer einen Dialog führen will, sollte ihn ehrlich führen.

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