Vom Islam zum Islamismus

Gibt es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus? Die Antwort, die man erhält, fällt je nach dem aus, wo der Befragte politisch steht. Ich halte das für irreführend. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus – aber eben auch eine Schnittmenge zwischen beiden. Allerdings möchte ich behaupten, dass die Schnittmenge ziemlich gross ist. Diese These gefällt natürlich nicht jedem.

Ich bin allerdings ebenso überzeugt davon, dass ein anderer, ein (nennen wir ihn:) humanistischer Islam, möglich ist, wofür sich Ansätze in der islamischen Geistesgeschichte durchaus finden lassen. Sie haben sich aber noch nicht durchsetzen können. Die weltweit vorherrschende Manifestation des Islam, die sunnitische Orthodoxie, hat freilich sehr viel Gemeinsamkeiten mit dem, was wahlweise als Islamismus, Salafismus oder Dschihadismus bezeichnet wird.

Die Abgrenzung zwischen Islam und Islamismus ist eine Herausforderung für die Muslime, denn wer verhindern will, dass Gläubige vom Islam in den Islamismus abgleiten, muss eine starke Mauer zwischen beiden errichten. Dass dies noch längst nicht der Fall ist, kann jeder selbst beobachten. Immer wieder habe ich erlebt, wie Verteidiger des Islam, seien sie Muslime oder nicht, sich bitterlich darüber beklagen, dass der Islam ein schlechtes Image habe und Islam und Islamismus doch so wenig (oder gar nichts) mit einander zu tun hätten, um dann den Islam in einer Weise zu verteidigen, wie es auch von einem Muslimbruder hätte stammen können.

Manchmal muss man die Leute nur reden lassen. Ich habe das verschiedentlich auf diesem Blog thematisiert. Um nur ein Beispiel zu nennen: In meinem Freundeskreis gibt es jemanden, der im interreligiösen Dialog aktiv ist und mir erzählt, dass das negative Image des Islam in Europa auf die Kreuzzüge zurückgehe, der aber zugleich zuversichtlich ist, dass der Islam eines Tages auch über Deutschland herrschen werde. Dass das eine, nämlich der islamische Suprematismus, ursächlich sein könnte für das andere, nämlich die wenig vorteilhafte Wahrnehmung des Islam im Westen, kommt ihm gar nicht in den Sinn.

Vor einem halben Jahr etwa habe ich in einer Stadt in NRW einen Vortrag gehalten, in dem es um Islam und Integration ging. Als anschliessend die Diskussion eröffnet wurde, meldete sich ein Zuhörer zu Wort, der sich als Marokkaner vorstellte und kritisierte, dass der Islam in Europa zu einem Sündenbock für alle möglichen Dinge gemacht werde. Ich habe dem nur kurz etwas entgegnet und ansonsten dem Zuhörer das Wort überlassen. Zusammen  mit einem Landsmann redete er sich dann in Rage – bis er am Ende wie ein Islamist klang, der in Amerikanern und Zionisten die wahre Gefahr für den Weltfrieden sieht. (Einige Tage später erzählte mit der Veranstalter, dass jener marokkanische Zuhörer sich danach erkundigt habe, ob ich Jude sei.)

An einer Unterscheidung von Islam und Islamismus halte ich zwar fest, aber es wird einem nicht immer leicht gemacht. Hinzu kommt, dass dieselben Leute, die den Islam vor dessen Kritikern in Schutz nehmen wollen, oft kein Problem damit haben, mit Leuten zusammenzuarbeiten oder einen Dialog zu führen, die einen Islam vertreten, der alles andere als aufgeklärt oder humanistisch ist. Das gilt nicht zuletzt für viele universitäre Islamwissenschaftler. Aber auch für manche Vertreter angrenzender Fächer, darunter Theologen.

Ãœber Klaus von Stosch habe ich an anderer Stelle einiges gesagt. Der Paderborner katholische Theologe, der zwischen Islam und Christentum vermitteln will, hat nicht nur Erkenntnisse zutage gefördert, die teilweise schon lange bekannt sind, sondern dabei eine recht selektive Sichtweise auf den Islam bewiesen. Dass manche Phänomene (wie der „Ehrenmord“) etwas mit dem Islam selbst dann zu tun haben können, wenn die sie bezeichnenden Begriffe im Koran nicht auftauchen, weiss von Stosch nicht, weil er weder eine Ahnung von der islamischen Geschichte, noch von der islamischen Theologie oder von Fragen der Textinterpretation hat.

Nun hat Klaus von Stosch einen Buchpreis bekommen – nein, nicht etwa den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, sondern den höchsten Buchpreis der Islamischen Republik Iran. Einen Preis für sein, wie er selbst formuliert, „emanzipatorisches, menschenfreundliches und modernes Islamverständnis“ ausgerechnet von einem Regime entgegenzunehmen, das nicht nur brutale Leibesstrafen wie das Hängen, die Steinigung oder das Handabschneiden verhängt, sondern all dies mit dem islamischen Recht legitimiert, ist in etwa so, als würde ein Publizist für sein Engagement gegen Rassenhass einen Preis vom Ku-Klux-Klan entgegennehmen oder ein Aktivist gegen Antisemitismus eine Auszeichnung von der NPD.

„Ich freue mich besonders, dass durch diese Auszeichnung deutlich wird, dass sich auch Muslime durch mein Einführungsbuch zum Islam richtig verstanden fühlen“, bedankt sich Klaus von Stosch, wobei die Muslime, die er meint, keine Vertreter eines moderaten, weltoffenen, humanistischen Islam sind, sondern Mitglieder und Abhängige der Führungsriege des iranischen Regimes. Während im Iran die Menschen auf die Strasse gehen, weil sie von einem menschenverachtenden und völlig korrupten System die Nase voll haben, baut ein deutscher Theologe fleissig Brücken zu ebenjenem System.

Aber in der Filterblase der deutschen Universität findet es niemand seltsam, merkwürdig oder absurd, wenn ein „Brückenbauer“ zwischen Christen und Muslimen einen solchen Preis annimmt. Wie die Universität Paderborn mitteilt, hat von Stosch diesen Preis aus den Händen des iranischen Präsidenten Rouhani entgegengenommen. Rouhani ist ein Fanatiker mit einem freundlichen Gesicht und eine Projektionsfläche wie geschaffen für westliche Schwärmer von der Reformierbarkeit eines reformunfähigen Regimes.

Warum ein Regime wie das iranische einen solchen Preis vergibt, liegt auf der Hand: Die Preisvergabe  ist Teil der Da’wa, der islamischen Mission, und damit ein Mittel der expansionistischen Staatsideologie. Von Stosch war für einen solchen Preis prädestiniert, hatte er sich doch schon für eine Konferenz der sog. Universität für Religion und Denomination (URD) in Qom einspannen lassen, die keine normale Universität, sondern ein Propagandazentrum zur Verbreitung khomeinistischen Gedankengutes in aller Welt ist.

Einmal mehr zeigt sich, wie die Apologetik des Islam in eine unheimliche ideologische Nähe zum Islamismus oder einem islamistischen System wie dem iranischen führen kann. Dass dessen westliche Unterstützer und Schönredner einsichtig gegenüber ihrer eigenen Rolle werden, ist wohl eine vergebliche Hoffnung. Eine tröstliche Gewissheit aber bleibt: Wenn das iranische Regime in nicht allzu ferner Zukunft fallen sollte, werden Leute wie Klaus von Stosch in Teheran nicht mehr willkommen sein.

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