Hisbollah und die Umkehrung der Fakten

Stellen Sie sich vor, eine Gruppe von Neonazis in Deutschland würde von einer ausländischen Macht mit einer stetigen und umfangreichen Waffenlieferung bedacht, infolgedessen sie zu einem so gewaltigen Machtfaktor würden, dass der Staat damit überfordert wäre, ihre Strukturen zu zerschlagen. Stattdessen bliebe dem deutschen Staat nichts übrig, als sich mit den Neonazis zu arrangieren und es zu tolerieren, wenn diese im Land Strassensperren errichten und Menschen nach Belieben festnehmen.

Weil die Neonazis sogar über eine eigene Armee verfügen, mit der sie in der Lage sind, Deutschlands Nachbarstaaten mit Krieg zu überziehen, würde die deutsche Politik beschliessen, den Neonazis den Anschein demokratischer Legitimation zu geben und sie in die politischen Strukturen des Landes einzubinden, um sie auf diese Weise einigermassen im Zaum zu halten. Die Stellung der Neonazis zu debattieren wäre fortan ein Tabu, wären sie doch jederzeit in der Lage, einen Bürgerkrieg im Lande zu entfachen. Wenn all das der Fall wäre: Würden Sie sagen, Deutschland wäre noch eine Demokratie und ein souveränes Land?

Obgleich der Libanon über eine halbwegs freie Presselandschaft verfügt, über ein parlamentarisches System und eine partielle Rechtsstaatlichkeit., hat es seinen guten Grund, warum Israel als die einzige Demokratie im Nahen Osten bezeichnet wird, denn der Libanon ist keine. Der wichtigste Grund heisst: Hisbollah. Denn die von Teheran abhängige Hisbollah unterminiert wie keine andere Kraft im Libanon dessen Souveränität. Sie unterhält eine eigene Schattenarmee sowie zahlreiche Kontrollposten im Land und ist längst so mächtig geworden, dass weder Polizei noch Armee sie zerschlagen können.

Weil sie ein erheblicher Machtfaktor im Libanon geworden ist, bleibt dem Land nichts anderes übrig, als die Hisbollah in die politischen Strukturen einzubinden, um sie auf diese Weise einigermassen im Zaum zu halten. Die Finanziers und Strippenzieher der Organisation, die in Teheran sitzen, versuchen die Weltöffentlichkeit freilich über diesen Zustand hinwegzutäuschen: Weil die Hisbollah Abgeordnete im libanesischen Parlament habe und zur Stabilität des Landes beitrage, dürfe man sie nicht einfach als Terrororganisation hinstellen. So kehrt man Fakten um, stellt die Wahrheit auf den Kopf.

Die Hisbollah ist eine Terrororganisation, aber ihre Herren sitzen in Teheran

Aber keine These ist zu wahnwitzig, als das sie nicht auch hierzulande ihre Anhänger fände. Zu diesen gehört auch René Wildangel, der auf der Internetpräsenz des European Council on Foreign Relations (ECFR) die Parolen aus Teheran bedenkenlos nachplappert. Hintergrund ist das jüngst ergangene Verbot aller Aktivitäten der Hisbollah auf deutschem Boden, die dabei explizit als das bezeichnet wird, was sie ist: eine Terrororganisation. Wildangel jedoch hat kein Problem mit der iranischen Aggression, umso mehr eines mit den USA, die bekanntlich versuchen, das Teheraner Regime und dessen Stellvertreter wie die Hisbollah durch Druck von aussen einzudämmen.

Das ist durchaus kein Einzelfall. In Deutschland und anderen Ländern Europas gibt es jede Menge Nahost-„Experten“ in den unterschiedlichsten Think Tanks und Stiftungen, die sich alle so äussern, als seien sie der Pressesprecher von Hassan Rouhani. Das hat einen massiven Einfluss auf die deutsche Regierung, die grundsätzlich an der Erzählung aus Teheran festhält, der Iran sei in Hardliner und Reformer gespalten und wenn Europa den Reformern nicht entgegenkomme, würde es nur die „Hardliner“ stärken. In dieser Erzählung hat die Islamische Republik nur Anhänger im eigenen Land, keine Gegner.

Dass Deutschland die Hisbollah dennoch und gegen den EU-Trend als Terrororganisation benannt und ihre Aktivitäten von deutschem Boden verbannt hat, dürfte auf amerikanischen Einfluss und israelische Zuarbeit in Form übermittelter geheimdienstlicher Informationen zurückgehen. In Deutschland sollten wir dafür dankbar sein, wird auf diese Weise doch die Schieflage der deutschen Aussenpolitik ein wenig geradegerückt. Dass vor allem Israel seinen Anteil der deutschen Verbotsentscheidung hat, ist für die Hisbollah eine besondere Schmach.

(Abb. Meldung der Hisbollah, dass Israel hinter ihrer Einstufung als Terrororganisation in Deutschland stehe.)

Doch auch wenn Deutschland richtig gehandelt hat, müssen wir uns fragen, was sein wird, wenn Trump eines Tages nicht mehr im Weissen Haus sitzt und ein Demokrat seinen Platz eingenommen hat. Dann droht wieder eine Politik der Annäherung an das iranische Regime in der trügerischen Hoffnung, vermeintlich moderate Kräfte zu stärken, die in Wahrheit doch nur dasselbe wollen wie die sog. Hardliner auch: Die Vernichtung Israels und die Zementierung des Iran als regionale Vormacht einer islamistischen Internationale.

Wir werden in Deutschland und Europa daher nicht umhin kommen, mehr Nahostexpertise in der Politikberatung zu verankern, um den Einfluss von Orientromantikern und Iranlobbyisten zurückzudrängen. Dazu ist vor allem eine kritische Öffentlichkeit gefragt. Leicht wird das nicht. Aber auch dicke Bretter müssen manchmal gebohrt werden.


Nachtrag 13. Mai 2020

In einem Beitrag für die „Jüdische Allgemeine“ argumentiert Nathan Gelbart ganz ähnlich: Vor allem amerikanischer Druck und nachrichtendienstliche Informationen aus Jerusalem haben zum deutschen Tätigkeitsverbot für die Hisbollah geführt. Immerhin: „Die Bundesregierung ist endlich ihrer Verpflichtung zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Lebens unzähliger Bundesbürger nachgekommen (…).

Nachtrag 18. Mai 2020

In dieselbe Kerbe der Propaganda schlägt ein Manuel Sakmani in einem Beitrag für den „Weser Kurier“. Darin behauptet er, dass das allgemeine Betätigungsverbot gegen die Hisbollah in Deutschland „die Rolle deutscher Diplomatie in der Levante“ gefährde, wobei er israelische Interessen pauschal als „fast zwangsläufig ideologisch gefärbt“ beiseitewischt. Auch Sakmani wiederkäut die Propagandaformel der Iranlobbyisten, wonach eine Schwächung der Hisbollah ominösen „Hardlinern“ in die Hände spiele.

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