Was darunter liegt

Während der Spätantike war es der persische Kult um Mithras, der in direkter Konkurrenz zum jungen Christentum stand und wie dieses den Gläubigen ewiges Leben verhiess. Das Weihnachtsfest könnte hier seine vorchristlichen Wurzeln haben. Denn der 25. Dezember wurde mit der Sonne identifiziert und Mithras’ Geburt am selben Tag gefeiert, dem Zeitpunkt der Wintersonnenwende, mit dem die Tage wieder länger werden.

„Bronze plaque of Mithras slaying the bull“/ CC0 1.0

Auch das Fest des Sol Invictus, des unbesiegten Sonnengottes, vom römischen Kaiser Aurelian 275 n. Chr. eingeführt, fiel auf diesen Tag. Als im 4. Jahrhundert die Kirche das Weihnachtsfest auf den 25. Dezember legte, stülpte es jenes damit den heidnischen Bräuchen der Vergangenheit über. Da man in heidnischer Zeit an diesem Tag Lichter anzuzünden pflegte, wurde auch dieser Brauch übernommen, der freilich ebenso gut vom jüdischen Chanukka abstammen kann (das wir ebenfalls in diesen Tagen feiern).

Urgrund christlicher Symbolik

Weihnachten hat aber womöglich noch andere Traditionen überformt, vor allem solche aus Ägypten. Im alten Ägypten nämlich hatte man die Geburt der Sonne schon zuvor als Kind dargestellt, empfangen von der grossen orientalischen Gottheit, die als Himmlische Göttin oder Himmlische Jungfrau bezeichnet wurde. Das Ankh-Kreuz, Symbol der Pharaonen für das Leben, mag ebenfalls Teil des Urgrundes christlicher Symbolik sein wie das Bild von der Isis, die den Horus säugt.

Der 104.Psalm der Bibel hat möglicherweise seine Inspiration aus dem “Sonnenhymnus” des Pharao Echnaton gezogen, zumal viele Jahrhunderte wechselseitiger Geschichte mit Ägypten Palästina seit der Antike geprägt haben. Schon im 8. Jahrhundert v.u.Z finden sich im syrisch-palästinensischen Raum aus Ägypten stammende Darstellungen geflügelter Kobras, die Teil eines Schlangenkultes waren und für die “Serafim” der Bibel (Jesaja 6) Pate gestanden haben könnten.

Gefässe mit Schlangen und anderen Tierdarstellungen wurden auch von Anhängern des bis nach Kleinasien verbreiteten Mithraskultes verwendet, bei dem das gemeinsame Mahl im Angesicht des Kultbildes zentrale Bedeutung besass. Nicht von ungefähr besteht hier eine Ähnlichkeit mit der heiligen Kommunion der Christen. Die erwähnte Göttin Isis wiederum wurde nicht nur in Ägypten, sondern im ganzen Mittelmeerraum verehrt und z. B. im Rom der späten Republik neben anderen ägyptischen Gottheiten von politischen Gruppen für senatskritische Zwecke vereinnahmt.

Eine weitere Spur führt zum Judentum. Dass in der hebräischen Bibel “Gott” im Plural genannt (Elohim), aber grammatisch wie ein Singular behandelt wird, hat Exegeten veranlasst, darin einen Verweis auf unterschiedliche Formen zu sehen, in denen Gott sich der Bibel zufolge offenbart, nämlich als junger Krieger im Buch Exodus und als betagter Richter bei Daniel. Hier die Brücke zu schlagen fällt nicht schwer und so hat der Religionshistoriker Daniel Boyarin darin die inspirative Quelle für das spätere Gott-Vater-und-Sohn-Motiv im Christentum vermutet.

Zerfliessende Grenzen und neue Formen

„Madonna of the Rose Garden Italiano:“/ CC0 1.0

Der Althistoriker Thomas Fischer gehtdavon aus, dass trotz deutlichen Zeitabstandes auch das Judentum der Makkabäerzeit mit seinem Auferstehungs- und Jenseitsglauben und einer volkstümlichen Heiligenverehrung das Christentum vorgeprägt hat, für das ohne Jesu Geburt, Martyrium und Tod bekanntlich keine Auferstehung und damit kein Anbrechen der Heilsgeschichte möglich ist. Damals zerflossen die Grenzen von Judentum und Griechentum und fanden später neue Ausdrucksformen im Christentum.

Es steckt also eine ganze Menge drin im Weihnachtsfest oder vielmehr: darunter. Wird Weihnachten damit entzaubert? Eher im Gegenteil. Der Schriftsteller Ernst Jünger (gleich, was man von ihm halten mag) traf es mit seiner Metaphorik von der Kultur als Pilzgeflecht recht genau, insofern letzteres im wesentlichen unterirdisch zuhause ist und von dem wir allein dessen erratische Früchte an der Oberfläche wahrnehmen.

Mit seinen vielfältigen Wurzeln erweist sich Weihnachten zugleich als ein Mythos – nicht verstanden als Gegensatz zur Wahrheit, sondern, wie der Kulturwissenschaftler Jan Assmann ihn definiert, als eine “Geschichte, die nicht nur immer wieder, sondern auch immer wieder neu erzählt wird”, wobei jede Variante als authentisch gilt. Dies ist schon in der Bibel angelegt, die bekanntlich zwei Versionen der Weihnachtsgeschichte erzählt (Matthäus, Lukas), die einander zugleich widersprechen und ergänzen.

Das Weihnachtsfest bringt immer neue Früchte hervor, darunter zahllose Adaptionen und Interpretationen. Ohne Weihnachten gäbe es weder Dickens “Christmas Carol” noch Barks’ Dagobert Duck, weder Händels “Messiah” noch den Weihnachtsmann, den ein Getränkekonzern 1931 erfand. Selbst in vielen mehrheitlich nichtchristlichen Gesellschaften sind Weihnachtsmärkte und die Tradition des Weihnachtsbaumes aus der Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken. Was für eine Geschichte!

Ob gläubig oder nicht, man muss das einfach faszinierend finden. In diesem Sinne wünschen wir allen Leserinnen und Lesern frohe Festtage!


Literatur zum Thema

Assmann, Jan. 2015. Exodus: Die Revolution der Alten Welt. München: C.H. Beck.

Burkert, Walter. 2003. Die Griechen und der Orient: Von Homer bis zu den Magiern. München: C.H. Beck.

Cools, P. J. (Hrsg.). 1965. Geschichte und Religion des Alten Testaments. Olten und Freiburg i.Br.: Walter-Verlag.

Fischer, Thomas. 1980. Seleukiden und Makkabäer: Beiträge zur Seleukidengeschichte und zu den politischen Verhältnissen in Judäa während der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Bochum: Brockmeyer.

Görg, Manfred. 1997. Die Beziehungen zwischen dem alten Israel und Ägypten: Von den Anfängen bis zum Exil. Darmstadt: wbg.

Heiler, Friedrich. 1961. Erscheinungsformen und Wesen der Religion. Stuttgart: Kohlhammer.

Jünger, Ernst. 1966. Grenzgänge: Essays, Reden, Träume. Stuttgart: Klett.

Rüpke, Jörg. 2016. Pantheon: Geschichte der antiken Religionen. München: C.H. Beck.

Schäfer, Peter. 2010. Die Geburt des Judentums aus dem Geist des Christentums. Tübingen: Mohr Siebeck.


Nachtrag 24. Dezember 2022

Eine Gegenmeinung zur These, Weihnachten überforme am 25. Dezember eine ältere Tradition, vertritt der österreichische Kirchenhistoriker Hans Förster. Wie Jürgen Kaube in der FAZ schreibt: “Es sind Dutzende spätantiker Predigten und Traktate, die Hans Förster ausgewertet hat, um schlussendlich zu dem Befund zu kommen, dass es wenig (sic!) Anhaltspunkte dafür gibt, Weihnachten sei die christliche Version einer antiken Sonnwendfeier.” Försters Theorie, wie Kaube sie wiedergibt, geht ebenfalls davon aus, dass der 25. Dezember wegen der Sonnenwende gewählt wurde, jedoch sollen heidnische Kulte keine Rolle gespielt haben.

Wie gehen Juden in der westlichen Diaspora mit Weihnachten um? Das Transkript einer wirklich schönen Unterhaltung zum Thema hat “Jewish Currents” publiziert. Kostprobe: “ I really appreciate that about Jewish Christmas, the movie-and-Chinese-food thing: It’s a way of elevating that structure of feeling into a ritual practice where you go engage in city life, you go to the cinema and eat food made by other diasporic people.

Nachtrag 29. Dezember 2022

Auf Spektrum.de zeigt ein Artikel, welchen Niederschlag die Weihnachtsgeschichte im Koran gefunden hat (ohne dort im eigentlichen Sinne Weihnachtsgeschichte zu sein). Interessant ist, dass die in Sure 3 überlieferte Geschichte keine Parallele in den neutestamentlichen Schriften hat, jedoch im später entstandenen apokryphen “Protevangelium des Jakobus“.

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