Beirut ist schon lange für Westler unattraktiv geworden. Das dürfte sich auch am dortigen Orient-Institut (OIB) bemerkbar gemacht haben, als es die Stelle eines Direktors ausschrieb. Wählerisch konnte man dort nicht sein, viele Bewerber dürfte es nicht gegeben haben. Am Ende erhielt ein deutscher Wissenschaftler aus Toronto den Job in der Zokak el-Blat.
Jens Hanssen heisst der Mann und er liegt ganz auf der Linie der Postkolonialen Theorie, dessen Vertreter sich zu Anwälten des sogenannten globalen Südens machen. Dass der schlechte Zustand vieler Länder einem fortgesetzten Wirken des Kolonialismus und damit der wohlhabenden Länder des Westens zu verdanken ist, bildet die Prämisse ihrer Arbeit. Sie hat an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten beinahe eine Monopolstellung errungen.
Die Postkoloniale Theorie geniesst vor allem in der nahostbezogenen Forschung, gleich ob historisch oder anderweitig orientiert, an Einfluss, was nicht zuletzt dem palästinensisch-amerikanischen Literaturwissenschaftler Edward Said (gest. 2003) zu verdanken ist, der (wiewohl selhst kein Muslim) ihre Prämissen auf den Islam und den Nahen Osten angewandt und damit populär gemacht hat. Said hat aus seiner israelfeindlichen Gesinnung nie ein Hehl gemacht.
Ein “Primer”, der es in sich hat
Sich zu Said zu bekennen, über ihn gar ein Buch schreiben zu wollen, soll mittlerweile ein ganz heisses Eisen sein, wie der Erfurter Kommunikations-wissenschaftler Kai Hafez glaubt. Wenn das stimmte, hat Jens Hanssen davon nichts mitgekriegt und seiner Karriere hat es auch nicht geschadet, zeigt ihn doch sein Profilbild an der FU Berlin (mittlerweile gelöscht) lachend und mit Victory-Pose hinter einem Porträt von Edward Said. Auf seinem Facebook-Profil findet sich das gleiche Bild noch einmal.
Die Botschaft ist ganz deutlich, quasi ein Stinkefinger an seine Kritiker. Denn solche hat er erst gegeben, seitdem Hanssen Direktor des Beiruter Orient-Instituts wurde. Vorher war er ausserhalb akademischer Zirkel unbekannt, wo man an seiner Said-Verehrung keinen Anstoss nimmt. Nach seiner Ernennung rückte er auch nur deshalb und sehr kurz in den Fokus der Öffentlichkeit, als seine Nähe zur gegen Israel gerichteten Boykott-Bewegung offenbar wurde.
Die Boykott-Bewegung, die auch für Disinvestment und Sanktionen eintritt, nach dem dreifachen Anliegen unter dem Kürzel “BDS” genannt, ist mit einer akademischen Position schon deshalb nicht vereinbar, weil sie auch israelische Wissenschaftler in ihren Boykott einschliesst, mit denen zu kooperieren ein Gebot wissenschaftlicher Ethik ist. Hanssens schwache Verteidigungslinie lautet, dass er kein Mitglied der BDS-Bewegung sei.
Das freilich hat niemand unterstellt. Der Vorwurf der ideologischen Nähe bleibt jedoch bestehen, da sie belegt ist und von ihm selbst gar nicht bestritten wird. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Max-Weber-Stiftung, zu der das Orient-Institut gehört, hat in einer von Hanssen mitunterzeichneten Stellungnahme eingeräumt, dass sich dieser “für einen Boykott gegenüber israelischen wissenschaftlichen Institutionen (…) mehrfach ausgesprochen” habe.
Kritiker sollen seither durch die Zusicherung besänftigt werden, man werde die Forschungstätigkeit des Instituts “unter ausdrücklichem Einschluss jüdischer und israelischer Wissenschaftler*innen” betreiben. Das mutet unglaubwürdig an, hat Hanssen sich doch seit seiner Ernennung zum Direktor des OIB offenbar nicht gemässigt. Bester Beweis ist die “Hearing Palestine Initiative“.
Wie diese tickt, zeigt ein von ihr veröffentlichter Primer, also eine Art Elementarbuch, das sich den Slogan “From the river to the sea, Palestine will be free” widmet. Hanssen ist zwar keiner der Autoren des Primers, aber dieser das Produkt einer Plattform, die er mitbegründet hat. Der Primer selbst erschien etwa ein halbes Jahr nach Hanssens Ernennung am OIB.
Tatsächlich impliziert der Slogan ein Palästina ohne Israel, auch wenn er offenlässt, wie ein solches Palästina geschaffen werden soll. In diesem Sinne stellt er tatsächlich kein politisches Programm dar. Doch er delegitimiert Israel. Aus der Perspektive des Slogans ist Israel blosse Kolonial- und Besatzungsmacht in der Region. Wer “From the river to the sea ” skandiert, kann kein Freund von Frieden und Koexistenz sein. Diese Schlussfolgerung weigern sich die Verfasser zu ziehen.
Stattdessen wird behauptet, “alle Historiker” stimmten darin überein, dass der genannte Slogan primär kein politisches Programm darstelle, ondern lediglich den palästinensischen Wunsch nach Befreiung, Freiheit und Gleichheit vor dem Hintergrund der Kolonisierung und militärischen Besatzung ausdrücke. Das ist keine Wissenschaft, sondern ein Versuch, die Bedeutung des Slogans in etwas umzudeuten, das in westlichen Ohren wie eine verständliche Forderung klingt, gegen die man vernünftigerweise gar nicht sein kann.
Parteinahme für die arabische Sache
Da passt es ins Bild, dass zwei Tage nach der Ernennung von Hanssen ausgerechnet Dirk A. Moses ans OIB vortragen durfte. Dieser hat, wie Alan Posener auf dem Blog “Starke Meinungen” zeigt, ein ganz grundsätzliches Problem mit Israel und betrachtet den jüdischen Staat nicht im Kontext der Nationalbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die auf den Trümmern des Osmanischen Reiches ihre eigenen Staaten errichteten, sondern als Nachwirkung eines westlichen Imperialismus.
Auf diese Idee kann nur kommen, wer von der Staatentransformation seit dem 19. Jahrhundert nichts weiss. Diese falsche Verortung hat Konsequenzen. Israel wird in der Darstellung von Moses, der übrigens gar kein Spezialist für die Geschichte des Nahen Ostens ist, zu einem aggressiven Fremdling in der Region, was sich bestens mit dem Narrativ des Panarabismus verträgt, aber eben nicht mit den historischen Fakten. Auch wegen anderer Äusserungen meldet Posener zu recht Zweifel an, ob es sich bei Moses um einen ernstzunehmenden Historiker handelt.
An seiner Einladung wird Hanssen keinen Anteil gehabt haben, weil er zum Zeitpunkt, da die Einladung erfolgte, noch kein Direktor war. Doch hätte er die Möglichkeit gehabt, wenn er schon die Einladung von Moses nicht verhindern konnte, so doch eine Gegenstimme ans OIB einzuladen. Dies ist bisher nicht geschehen und angesichts seiner eigenen politischen Verortung wohl auch nicht zu erwarten. Damit ist Hanssen ungeeignet für den Posten eines Direktors am OIB und sollte auch keine Professur bekleiden, denn eine einseitige, gegen Israel gerichtete Kooperationspolitik schadet nicht nur Israel, sie schadet auch der Wissenschaft.
Wissenschaft lebt davon, das Wissen der Menschheit permanent zu vergrössern, was nicht im luftleeren Raum geschieht, sondern immer auf Grundlage des bereits vorhandenen Wissens. Wissenschaftliche Forschung, sofern sie zugänglich und für die eigene Forschung relevant ist, muss daher ohne Ansehen der Personen berücksichtigt werden. Dass dieser Grundsatz allzu häufig missachtet und viele Geisteswissenschaftler vor allem solche Forschung berücksichtigen, die ihrem eigenen Weltbild entspricht, ist leider wahr.
Wenn Hanssen behauptet, als Direktor auch mit Israelis zusammenarbeiten zu wollen, dann wird er den Beweis dafür ohnehin nie antreten müssen. Denn Israel und der Libanon sind bekanntlich Feindstaaten und nur Israelis, die über eine zweite Staatsangehörigkeit verfügen, können zu einer Tagung nach Beirut reisen. Doch gebe man sich keiner Illusion hin: Hätte eine andere Person Hanssens Platz am OIB eingenommen, würde mit hoher Wahrscheinlichkeit der eingeschlagene Kurs weiterverfolgt werden.
Gerade die islam- und nahostbezogenen Fächer trennt spätestens seit dem Siegeszug der Postkolonialen Theorie in den 1990er Jahren eine tiefe ideologische Kluft vom jüdischen Staat. Die alte Forschermaxime einer Herangehensweise sine ira et studio “ohne Zorn oder Parteinahme” ist mit Edward Said längst einer offenen Parteinahme für die arabische und islamische Sache gewichen.
Nur wenige werden das offen zugeben. Kaum jemand lehnt sich so weit aus dem Fenster wie Hanssen und macht sich angreifbar. Antiisraelische Ressentiments sind der blinde Fleck in der nahostbezogenen Forschung.