Mitteilungen aus Kilis (9)

Ich setzte mich, während die Stimme des grossen Künstlers Abdelhalim Hafez erscholl, der ein Gedicht von Nizar Qabbani intonierte, und las. Das Gedicht sagte sinngemäss: „Mein Sohn, gestorben ist als Märtyrer wer sich für den Geliebten geopfert hat.“

Ich frage mich: Jeden Tag werden mehr als einhundert Syrer getötet und alle sind sie Märtyrer, alle haben sie sich für den Geliebten geopfert. Aber für welchen Geliebten? Ist es das Geld? … der Reichtum? … das Vaterland? … Bashar al-Assad oder etwas anderes? Was ist mit den Menschen, die durch Chemiewaffen und Skud-Raketen in ihren Häusern sterben?

Ich setzte mich, um über die Zukunft nachzudenken, als das Lied den nächsten Abschnitt erreichte: „Aber dein Himmel regnet und dein Weg ist versperrt, versperrt, versperrt …“

Ja, vielleicht ist es nicht mein Weg, der versperrt ist, aber der Weg aller Syrer. In dem Land, in dem wir Zuflucht gefunden haben, sind wir nicht besser dran – denn mein Laden, mit allem, was darin ist, wurde gestohlen. Dank der Abwesenheit von Recht und Gesetz.

Aus Syrien erreichte mich die Nachricht, dass sich die Menschen dort Sorgen machen, man könnte ihnen ihr Haus mit allen Sachen wegnehmen! Was soll ich tun? Soll ich nach Aleppo zurückkehren, das sich unter Kontrolle des Regimes befindet und wo der Tod herrscht?

Vor zehn Tagen habe ich ein Haus gemietet, das mich fast $ 1000 pro Monat kostet – und es gibt keine Möglichkeit hier zu arbeiten. Auch wenn ich von mir spreche, so ist meine Lage doch typisch für Syrer. Wenn ich mich umhöre, so bin ich überrascht zu sehen, wie viele versuchen, mit Antiquitäten oder Metallen u.a. zu handeln.

Derweil suchen kämpfende Milizen nach Geld zur Finanzierung von Waffen, was sie nicht davon abhält, die wirtschaftlichen und historischen Reichtümer des Landes zu verkaufen. Leute wie ich sehen sich gezwungen, jeder Tätigkeit nachzugehen, auch wenn sie sich mit der eigenen Überzeugung nicht vereinbaren lässt.

So ganz allmählich verwandele ich mich von einem Autoren in einen Mafiaboss. Nachdenklich lehne ich mich zurück und bedaure es, aber so ist nun einmal der Krieg. Ich bin davon überzeugt, dass es im Krieg keine Ehre und kein Gewissen gibt. Die Welt schaut uns zu, wähend wir brennen.

Soll ich es wagen über das Meer an die Gestade Europas zu fahren oder was sonst? Und was gäbe es in Europa? Andererseits: Soll ich in der Türkei sitzen und betteln? Die Situation treibt den Menschen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte in den Selbstmord.

Vielleicht werde auch ich mich eines Tages dazu erniedrigen, Waffen zu tragen und in einer radikalen islamischen Organisation zu kämpfen. Ich denke über meine Zeichnungen nach, mit denen ich mich ablenke. Ich sage: Was ist der Wert der Kunst in Zeiten des Dschungels?

Ost und West sprechen von einigen radikalen Milizen und al-Qaida. Ich sage: Wer hat sie denn gemacht? Wenn du zulässt, dass das süsse Kätzchen von allen Seiten geschlagen wird, wird es nicht lange ein süsses Kätzchen bleiben.

Es wird sich in einen tollwütigen Hund verwandeln.

Türkische Republik, 18.04.2013

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz.)

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