Die Zukunft des Nahen Ostens

Irak und Syrien zerfallen – und schuld ist natürlich Bush? Oder doch eher Obama? Während jetzt die Djihadisten des ISIS ihren Kalifatstaat aufbauen, werfen wir noch einmal einen Blick zurück und schauen, was wann schiefgelaufen ist, dass es zu einem solchen Desaster kommen konnte.

Erinnern wir uns: In den beiden Dekaden vor 9/11 haben uns (tatsächliche und vermeintliche) Nahostexperten immer weisgemacht, dass die Massen in den arabischen Ländern sich nach Demokratie sehnen. Dass es nur deshalb keine demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnisse in der Arabischen Welt gebe, weil „wir“, also der Westen, all diese Diktaturen installiert haben oder sie zumindest stützen.

Denn „wir“ sind es, die das Öl wollen, die Rohstoffe, die Vorherrschaft über die Region. Da können „wir“ es nicht gebrauchen, wenn die Massen sich emanzipieren wollen – soweit das unablässig wiederholte Mantra besagter Experten. Dass die arabisch-islamischen Gesellschaften stagnierten und auf der Stelle träten, sei doch nur ein westliches Vorurteil.

Einer der wenigen, die diesem Narrativ widersprachen, war der Göttinger Politologe Bassam Tibi, der schon 1985 völlig zutreffend feststellte, dass „eine Modernisierung der Sozialstrukturen des islamischen Orients (…) immer zum Scheitern verurteilt (ist), wenn sie ohne parallele Dynamisierungsversuche der islamischen Kultur angestrebt wird.“ Gemeint war, dass demokratische Institutionen ein entsprechendes Ethos voraussetzen, ohne das sie nicht mit Leben gefüllt werden können.

„Abu Dhabi mosque“/ CC0 1.0

Für seine Analysen war Tibi von nicht wenigen Islamwissenschaftlern gehasst worden. Eigentlich hätte George W. Bush die Ikone all derer sein müssen, die immer geglaubt haben, dass das einzige Hindernis für die Schaffung demokratischer, liberaler und rechtsstaatlicher Verhältnisse die jeweiligen Diktatoren seien, die man nur loswerden müsse, um blühende Landschaften zu erschaffen.

Doch weit gefehlt. Nach dem Sturz von Saddam Hussein waren die Medien wieder voll von Analysten, die ihrem Publikum erklärten, dass man Demokratie nicht herbeibomben könne. Wohl wahr, aber dennoch daneben, insofern als Bushs Politik genau der Linie folgte, dass ja nur die Diktaturen des Nahen Ostens zu Fall gebracht werden müssten, damit diese Länder sich anschliessend selbst demokratisieren.

Seinerzeit kam der amerikanische Publizist Fareed Zakaria zu demselben Schluss wie Tibi zwanzig Jahre zuvor, indem er der arabischen Welt attestierte, zwischen autokratischen Staaten und illiberalen Gesellschaften gefangen zu sein, die beide keinen fruchtbaren Boden für Demokratien böten.

Wie auch Tibi glaubte Zakaria keineswegs, dass Islam und Demokratie unvereinbar seien, aber wohl, dass das blosse Abhalten von Wahlen noch keine Demokratie macht. Zakaria hatte seinerzeit auch ganz richtig vorhergesehen, dass die arabischen Herrscher, so autokratisch, korrupt und träge sie auch sein mochten, immer noch fortschrittlicher sein würden als alles, was wahrscheinlich an ihre Stelle treten wird.

Derweil arbeitete die westliche Friedensbewegung den extremistischen Kräften im Nahen Osten zu, indem sie alle Morde durch Islamisten und Ex-Baathisten den USA aufs Sündenkonto schrieb. Damit lieferte sie jenen Kräften geradezu ein Motiv, möglichst viele Menschen umzubringen, wissend, dass in dem Masse, wie die Zahl der Toten steigt, das Ansehen der USA im Westen sinken wird.

Die Friedensbewegung hat sich von dieser Kausalität freilich nicht beeindrucken lassen. Sie hat schon längst ein neues Mantra gefunden, dass sie unablässig wiederholt: Indem sie einfach Ursache und Wirkung vertauscht, behauptet sie, dass nur die Truppen aus Afghanistan und Irak abgezogen werden müssen, damit die Lage sich beruhigt.

Hoffnungsträger einer solchen Politik war der damalige amerikanische Präsidentschaftskandidat und heutige Präsident Barack Obama. Er hat seine Ankündigungen wahrgemacht und so müssen die Iraker heute selbst für ihre Sicherheit sorgen. Diese Politik hat mit zum Aufstieg der erwähnten Terrortruppe ISIS beigetragen. Ohnehin dürften die Optionen des Westens aber äusserst gering sein.

Es ist unwahrscheinlich, dass ein Eingreifen der Westens in Syrien den Vormarsch der Islamisten dauerhaft hätte abwehren können. Früher oder später hätten sich diese Kräfte, die durch Deserteure der regulären Armee auf beiden Seiten der syrisch-irakischen Grenze laufend Zuwachs bekommen, formiert, um eine Situation zu schaffen, wie wir sie jetzt haben. Das einzige was dem Westen noch bleibt, ist dafür Sorge zu tragen, dass der Konflikt nicht auf den Libanon und Israel übergreift.

Natürlich kann es sein, dass die Dinge schon bald eine neue Wendung nehmen und der ISIS erfolgreich zurückgedrängt wird. An den grundsätzlichen Problemen, unter denen die arabischen Gesellschaften leiden, wird das nicht viel ändern. Die Dikta von Tibi und Zakaria werden noch eine ganze Weile ihre Gültigkeit behalten.

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