Kritik an Israel sei kein Antisemitismus per se und manches Verhalten von israelischer Seite lade zur Verurteilung ein, schrieb einmal der Historiker Walter Laqueur, der zugleich daran daran erinnerte, dass Israel nicht an Holland oder die Schweiz grenze, sein Überleben in einer feindseligen Umgebung daher nicht möglich sei, ohne sich “an die örtlichen Gepflogenheiten” zu halten. Damit ist eine Trennlinie zwischen legitimer Kritik an der israelischen Politik und einem Antisemitismus, der sich vorgeblich gegen Israel richtet, angedeutet.
Die Holocaust Remembrance Alliance, eine vom ehemaligen schwedischen Ministerpräsidente Göran Persson initiierte Organisation, hat einen nachvollziehbaren Katalog an Äusserungen zusammengestellt, der Klarheit schafft, wo der Antisemitismus anfängt, wenn es um Juden oder um Israel geht. Die Kritik an der Politik der israelischen Regierung gehört auch hier grundsätzlich nicht dazu. Wer hingegen Israel die Legitimität abspricht, von ihm ein Verhalten fordert, dass seiner Selbstzerstörung gleichkommt oder seine Politik in Analogie zum Morden der Nazis setzt, der ist ein Antisemit.
Doch nun ist etwas passiert, was in akademischen Zirkeln Deutschlands für Wirbel sorgt. Da hat es doch tatsächlich die Hochschulrektorenkonferenz gewagt, auf ihrer Mitgliederversammlung am 19. November, ein Forum deutscher Universitäten und anderer Hochschulen, sich in einer Entschliessung ebenjene Arbeitsdefinition für Antisemitismus der Holocaust Remembrance Alliance zu eigen zu machen. Damit setzt sie Massstäbe dafür, was die Hochschulen an Meinungsäusserungen im eigenen Haus hinzunehmen bereit sind.
Diese Entschliessung ist ein kleines Wunder, denn die Geisteswissenschaften bilden schon seit langem eine Monokultur, wenn es um gewisse Themen – Israel, Islam, Nahost, USA, Terrorismus etc. – geht. Daher überrascht es nicht, wenn einige Akademiker jetzt Sturm gegen den Kurs der HRK laufen, sich aufplustern und in gelehrter Pose daherdozieren, warum die Entschliessung den Grundsätzen guten Definierens nicht genüge. Die Vermutung liegt nahe, dass solche Leute vielmehr ein kategorisches Problem mit Israel haben.
Wie konnte es dennoch zu der Entschliessung kommen? Die Erklärung ist denkbar einfach: Im Präsidium der HRK bilden Natur-, Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure die Mehrheit – Leute also, die mit den kulturrelativistischen Sperenzchen, die in den zeitgenössischen Geisteswissenschaften so en vogue sind, eher wenig anzufangen wissen und denen man kaum eine Obsession für den jüdischen Staat nachsagen kann.
Sicherlich lässt sich darüber streiten, ob eine Hochschulrektorenkonferenz überhaupt solcherlei Vorgaben machen soll, allerdings ist die Arbeitsdefinition, anders als ihre Kritiker meinen, durchaus solide, weil sie eine Kritik an der israelischen Politik pauschal eben nicht als Antisemitismus verstanden wissen will, sondern einzig das, was Juden und den Staat Israel dämonisiert und an sie andere moralische Massstäbe anlegt als an andere Gruppen oder Staaten.
Ohnehin ist die ganze Aufregung darüber, dass mit der Entschliessung die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit an deutschen Hochschulen bedroht sei, nicht nur heuchlerisch, weil bisher das Pendel in der entgegengesetzten Richtung verharrte und jeder, der im Verdacht stand, pro-israelisch zu sein, mit einem Karriereknick rechnen musste, sondern auch grundlos, weil sie nichts ändern wird.
Denn das ist die ernüchternde Erkenntnis: Letztlich ist der Schritt der HRK ein rein symbolischer Akt, der an der Realität geisteswissenschaftlicher Fakultäten vorbeigeht. Dort wird man weniger eine offene Dämonisierung Israels finden als vielmehr ein subtiles Ressentiment, das sich in einseitiger Parteinahme für die Palästinenser und in einer grundsätzlichen Verständnislosigkeit für den israelischen Kampf gegen den Terrorismus äussert, von dem Laqueur sprach.
Diese Einseitigkeit, zu der auch immer gehört, das iranische Regime schönzureden, befindet sich damit gewissermassen unterhalb des Radars der HRK-Entschliessung. Das mag man gut oder schlecht finden. Von einer Bedrohung für die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit kann aber gerade deshalb keine Rede sein. Die HRK hat einfach ein Zeichen gesetzt – nicht mehr, aber auch nicht weniger.