Geheuchelte Empörung

Die Hisbollah hat im jüngsten Konflikt hunderte von Raketen auf Nordisrael geschossen, ein Dutzend drusischer Jugendlicher getötet, viele Bewohner zu Binnenflüchtlingen gemacht und der israelischen Wirtschaft schwer geschadet. Das ruft erstaunlich wenig Empörung unter jenen hervor, die ein grosses Herz für Palästina haben – während die Hisbollah weitere Aggressionen vorbereitet.

Israel könnte in seiner Antwort darauf das gleiche tun, wahllos den Südlibanon bombardieren und den Tod vieler libanesischer Zivilisten in Kauf nehmen, tut es aber nicht, sondern findet einen Weg, gezielt Mitglieder der Hamas auszuschalten. Die Pager und Walkie Talkies, die dank einer mit Sprengstoff präparierten Platine in die Luft geflogen sind, hat wohl fast nur Mitglieder der Hisbollah getroffen.

Israel demonstriert damit seine technische Überlegenheit und macht deutlich, dass kein Mitglied irgendeiner Terrortruppe im Nahen Osten, die gegen Israel agiert, mehr sicher sein kann, dass ein elektronisches Gerät in seiner unmittelbaren Umgebung nicht zu einer tödlichen Waffen wird. Wenn die Hisbollah und ihre Kommandeure in Iran noch einen Funken Verstand haben, werden sie sich mit weiteren Aktionen gegen Israel daher zurückhalten. Man kann nur hoffen, dass die Botschaft, die Israel sendet, auch gehört wird.

https://twitter.com/SawsanChebli/status/1836117514948170118

Doch unter den Freunden Palästinas ist die Empörung gross. Es ist eine Empörung der Heuchler. Sie speist sich nicht aus Menschlichkeit, sondern aus einer Verachtung für israelisches Leben und einer Nachsichtigkeit gegenüber dem Menschenhass von Organisationen wie der Hisbollah, die den Libanon in ihrem Griff hat und dessen Souveränität unterminiert, um ohne Not und aus rein ideologischen Gründen Israel wieder und wieder anzugreifen.

Dass die israelische Armee ihrerseits Ziele im Südlibanon aus der Luft angreift, steht dem nicht entgegen. Immer geht es nur darum, militärische Einrichtungen und Personal der Hisbollah sowie des Teheraner Regimes unschädlich zu machen. Daher hat Israel den Zeitpunkt der massenhaften Explosionen von Pagern und Walkie Talkies auf 15:30 Uhr Ortszeit auch gut gewählt.

Um diese Zeit nämlich dürften die meisten Hisbollah-Mitglieder nicht mehr bei der Arbeit und ihre Kinder noch in Kitas und Schulen sein. Dass mit Fatima Jaafar Abdallah dennoch ein zehnjähriges libanesisches Mädchen im Haus ihrer Familie ums Leben gekommen ist, ist traurig – aber Israel hat diesen Krieg weder begonnen noch gewollt.


Nachtrag, 19. September 2024

Contra 1. Der Wiesbadener Völkerrechtler Matthias Goldmann hält im Gespräch mit n-tv das (mutmasslich) israelische Vorgehen für illegal: “Entscheidend ist, ob das Ziel ein Kombattant und damit ein legitimes militärisches Ziel war oder nicht.(…) Diese Kontrolle ist bei der Manipulation von Pagern und Walkie-Talkies aber gar nicht möglich.” Dass Israel mit diesem Vorgehen gerade versucht, grösseren Schaden von der Zivilbevölkerung abzuwenden, lässt Goldmann nicht gelten, weil dies für das Völkerrecht irrelevant sei. Relevant ist neben der Unterscheidung von Kombattanten und Nicht-Kombattanten nur das Gebot der Verhältnismässigkeit, das Goldmann ebenfalls verletzt sieht, auch wenn er einräumt, dass letztere grundsätzlich schwer zu beziffern ist.

Contra 2. Auch Rechtsexperten der UN halten die Spreng-Operation für mit dem Völkerrecht unvereinbar.

Nachtrag 5. Oktober 2024

Pro: Der Völkerrechter Stefan Talmon kommt zu der Einschätzung, dass die Sprengungen von Kommunikationsgeräten im vorliegenden Fall durchaus mit dem Völkerrecht in Einklag stehen können: “Die mittels elektronischem Signal ausgelösten Explosionen der Pager und Walkie-Talkies stellt mithin keine verbotenen Methoden oder Mittel der Kriegführung dar.” In seiner sehr ausführlichen Argumentation räumt er jedoch ein, dass noch nicht alle Fakten bekannt seien, sieht daher von einer letztgültigen Bewertung der Situation ab, weist aber darauf hin, dass offenbar das Gebot, nicht unverhältnismässig viele Zivilisten zu Schaden kommen zu lassen, gewahrt worden sei.

Autor: Michael Kreutz

Orientalist und Politologe.

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