Die Zukunft Syriens

Syriens neuer Machthaber Ahmed al-Sharaa entstammt bekanntlich einer islamistischen, terroristischen Organisation, die al-Qaida nahestand, weswegen sein politischer Kurs, der auf Ausgleich und Stabilität zielt, von vielen innerhalb und ausserhalb des Landes mit Argwohn beäugt wird. Ist vielleicht alles nur Taktik?

Auch gegenüber dem südlichen Nachbarn Israel gibt sich die neue syrische Führung unter Ahmed al-Sharaa aufgeschlossen und zeigt sich bereit, den Abraham Accords beizutreten und die Beziehungen zu normalisieren. Der Verdacht freilich bleibt bestehen, dass die politischen Signale, die hier ausgesendet werden, vor allem dazu dienen, westliche Sanktionen abzuschütteln und Geldgeber ins Land zu locken.

Altstadt von Damaskus, 2010.

Es wird noch vieler Schritte bedürfen, diesen Verdacht loszuwerden, dennoch verdient die Tatsache Beachtung, dass die neue syrische Führung eine Gruppe jüdischer US-Amerikaner nach Damaskus eingeladen hat, um das eigene jüdische Erbe wiederzubeleben. Der einzige israelische Staatsbürger in der Gruppe, David Horovitz, der Herausgeber der «Times of Israel», hat darüber einen bewegenden Reisebericht verfasst.

Möglicherweise wird das Treffen der Gruppe mit hochrangigen Vertretern der neuen syrischen Regierung eines Tages einmal «historisch» genannt werden. Jedenfalls scheint letztere ein Gespür dafür zu haben, dass ein Wiederaufbau des Landes mit alten politisch-kulturellen Paradigmen brechen muss, um nicht wieder von einem Bürgerkrieg zerrissen werden, und dass es damit nicht allzu lange warten kann.

Schon im Februar war eine Gruppe jüdischer Syrer zum ersten Mal seit dreissig Jahren nach Damaskus gereist. Über den aktuellen Besuch zitiert die libanesische Nachrichtenseite «al-Modon» Stimmen der Teilnehmer, wonach das alte Syrien unter Assad keinen Schutz für Juden geboten habe, während sich das heutige bemühe, all seinen Minderheiten eine Heimstätte zu sein.

Interessant ist eine Äusserung des neuen syrischen Wirtschaftsministers Mohammad Nidal al-Shaar. Er vergleicht sein Land mit Südkorea, das nach dem Krieg ebenfalls Wiederaufbauhilfe vom Westen erhielt, vor allem aus den USA, um dann zu einer enormen Erfolgsgeschichte zu werden. In der Tat kann man sich heute kaum noch vorstellen, wie unterentwickelt Südkorea noch in den 1960ern war und der Westen einmal Hochtechnologie von dort beziehen würde.

Syrien und die Zukunft der Islamwissenschaft

Heute kann sich niemand vorstellen, dass die Welt einmal technologische Spitzenprodukte aus Syrien oder einem anderen arabischen Land kaufen könnte, aber unmöglich ist das nicht. Wenn der arabischen und in weiterem Sinne der islamischen Welt die Kehrtwende gelingt, hätte das auch Auswirkungen auf die Zukunft von Fächern wie Arabistik, Orientalistik und Islamwissenschaft an hiesigen Universitäten.

Sie wären dann nicht länger Zufliuchtsorte für Aktivisten, die in der Islamischen Welt eine Projektionsfläche ihrer antimodernistischen Agenda sehen, sondern würden fast nur noch an wissenschaftlichen Fragestellungen Interessierte anziehen. Wie gesagt, bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber vielleicht wurde dieser Tage in Damaskus der erste Schritt getan. Bleiben wir skeptisch, aber nicht ohne Optimismus.

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