Alle machen es und so wollen wir nicht zurückstehen. Hier also unsere Buchempfehlungen für Weihnachten oder auch für danach. Obwohl ganze Bücherstapel im Wochentakt über meinen Schreibtisch wandern, fanden nur vergleichsweise wenige Titel in die Auswahl – nämlich solche, die für eine grösseres Publikum von Interesse sind, noch im Buchhandel erhältlich, zudem im Preis erschwinglich und in keiner anderen Sprache als Deutsch oder Englisch verfasst. Vorläufig sollen hier auch nur Sachbücher genannt werden. Wer über eine Anschaffung vor Weihnachten nachdenkt: noch ist es nicht zu spät!
1.) James Barr, A Line in the Sand: Britain, France and the Struggle That Shaped the Middle East (2012).
Viel ist dieser Tage davon die Rede, dass die alte, mit den Namen Sykes und Picot verbundene Ordnung im Nahen Osten bald der Vergangenheit angehören könnte. Trotz einiger Schwächen (so in der Schilderung der sog. Hussein-McMahon-Korrespondenz) gebührt dem Autor das Verdienst, in umfangreicher Weise unveröffentlichtes Material aus nicht weniger als sechzehn Archiven in Frankreich und Grossbritannien erschlossen zu haben. Mag manche Schlussfolgerung eher vorsichtig zu geniessen sein (mit den Thesen von Efraim Karsh oder Elie Kedourie setzt er sich kaum auseinander, auch fehlt ihm der Zugang zu Quellen in arabischer Sprache, ebenso zu Forschungsliteratur auf Deutsch), so bietet Barrs Buch allein wegen des verarbeiteten archivarischen Materials eine unverzichtbare Lektüre für die Vorgeschichte der heutigen Nationalstaaten Westasiens.
2.) Eric Nelson, The Hebrew Republic: Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought (2010).
Auf den ersten Blick mag die Thematik ein wenig abseitig wirken: Da haben westeuropäische Reformer des 17. und 18. Jahrhunderts die Hebräische Bibel politisch gelesen und allerlei Schrifttum verfasst, in dem sie die Geschichte des jüdischen Volkes zum Leitfaden für Reformen in ihrem Land machten. Nelson stellt nun aber die These auf, dass diese Texte, die ein riesiges Korpus neulateinischer Literatur bilden, ganz entscheidend das politische Denken der Neuzeit geprägt haben. Ein wegweisendes Buch in einer aufstrebendes Disziplin namens „Politischer Hebraismus“.
4.) Klaus Oehler, Blicke aus dem Philosophenturm: Eine Rückschau (2007).
Oehler, emeritierter Professor für Philosophie, hat nicht nur von der Philosophie Platons zum Pragmatismus eines Charles Sanders Pierce eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen, sondern war auch ein erbitterter Gegner der Achtundsechziger, die an seiner Hamburger Universität besonders viel Unheil stifteten, wie auch des Antiamerikanismus unter den Universtitätsgelehrten der Nachkriegszeit. Oehlers Erinnerungen führen durch alle Höhen und Tiefen der Geisteswissenschaften und sind ihres anekdotengesättigten Charakters wegen ein echter Lesegenuss. Auch Adorno und Carl-Friedrich von Weizsäcker bekommen ihr Fett weg.
5.) Michael Totten, The Road to Fatima Gate: The Beirut Spring, the Rise of Hezbollah, and the Iranian War against Israel (2012).
Zugegeben, das Buch fängt schwach an. Totten will das Geheimnis der Hisbollah ergründen, tritt zunächst in das eine oder andere Fettnäpfchen im Umgang mit der Organisation und scheint zunächst nicht viel neues zu bieten. Doch dann nimmt das Buch Fahrt auf und zieht den Leser in seinen Bann. Am interessantesten sind die Begegnungen mit Schlüsselfiguren der libanesischen Politik. Die „Fatima Gate‟ des Titels bezieht sich übrigens auf den halboffiziellen, für Drusen geschaffenen Übergang zwischen dem Libanon und Israel (dort „The Good Fence‟ genannt).
6.) Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (2013).
Im 18. Jahrhundert wuchs das europäische Wissen über Asien rasant. Vor dem Hintergrund westlicher Expansion bekam das Wissen aber auch eine politische Bedeutung und schlug zuweilen in eine Herrschaftsideologie um. Wer sich jetzt an Edward Saids bekannte Thesen („Culture and Imperialism‟) erinnert fühlt hat, irrt, wenn er glaubt, hier handele es sich um einen neuaufgelegten Orientalism: Osterhammel grenzt sich explizit von Said ab und zeigt, wie eine Kulturgeschichte westlichen Wissens über Asien auch sehr viel differenzierter aussehen kann.
7.) Jan Assmann und Florian Ebeling, Ägyptische Mysterien: Reisen in die Unterwelt in Aufklärung und Romantik – Eine kommentierte Anthologie (2011).
Ägyptische Mysterien, wenn soll das denn interessieren? Aber ähnlich Nelsons The Hebrew Republic (s.o.) handelt auch dieses Buch von Dingen, die bei weitem nicht so abwegig sind, wie sie zunächst scheinen mögen. Reisen in die Unterwelt bilden ein beliebtes Motiv in der Literatur der Aufklärung und der Romantik und finden sich bei Wieland und in Mozarts Zauberflöte ebenso wie in Texten der Freimaurer und solchen der Gegenaufklärung – ein faszinierendes Kapitel europäischer Literatur- und Kulturgeschichte.
8.) Daron Acemoglu und James A. Robinson, Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity, and Poverty (2012).
Warum es manche Länder zu Wohlstand bringen und andere nicht, dafür mag es mehr als einen Grund geben, aber eine unzweifelhaft zentrale Rolle spielt die Rechtssicherheit mitsamt den entsprechenden Institutionen. Von ihrer Existenz hängt vielleicht nicht alles, aber sehr viel ab. Die Autoren des Buches schliessen sich dieser These an, die sie in einem Rundgang durch die Weltwirtschaftsgeschichte eindrucksvoll belegen.
9.) Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (2006).
Ein grosser Fan von Sloterdijkt bin ich zugegebenermassen zwar nicht – manches erscheint mir abstrus, anderes reaktionär – aber Zorn und Zeit ist auf jeden Fall der Lektüre wert. In typisch Sloterdijk’scher Sprache („Das Leben des Furorsubjekts ist das Prickeln im Kelch der Situation‟) zeigt das Buch, wie der Zorn (gr. Thymos) eine wesentliche Triebfeder gesellschaftlicher Veränderung darstellt. Auch Freiheit ist nach Sloterdijk ein Begriff, der nur im Rahmen einer thymotischen Menschensicht sinnvoll erscheint.
10.) Hans Blumenberg, Die Verführbarkeit des Philosophen (2005).
Mittlerweile habe ich fast alle Bücher des Philosophen Hand Blumenberg gelesen und die meisten haben ihren dauerhaften Platz in meinem Regal eingenommen. Die Verführbarkeit des Philosophen gehört zu dem etwa halbes Dutzend Werken, die aus dem Nachlass heraus entstanden sind. Als Einführung in die Philosophie Blumenbergs eignet es sich zwar nicht, aber zur Diagnose der Gegenwart hat der Band umso mehr zu bieten. Aufgeteilt nach lose zusammenhängenden Stichwörtern handelt der Autor unterschiedlichste Themen von Hitchcock bis Heidegger ab – manchmal amüsant, aber immer geistreich.
11.) Michael Kreutz, Arabischer Humanismus in der Neuzeit (2007).
Dass die Araber im Mittelalter in grossem Masse griechische Literatur übersetzten und an Europa vermittelten, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert eine zweite Welle arabischer Übersetzungen aus dem Griechischen stattgefunden hat, diesmal im Zeichen modernistischen Denkens. Vor allem die poetischen Werke der Griechen, die von den mittelalterlichen Übersetzern ausgespart worden waren, standen im Zentrum des Interesses. Ziel war eine Modernisierung der arabischen Gesellschaften auf allen Ebenen, in der Literatur ebenso wie in der Politik – eine Modernisierung, die nicht primär aus der Religion hergeleitet wurde. Auch der Gedanke einer Kulturgemeinschaft mit Europa spielt hierbei eine Rolle. Das Buch basiert auf einer ausgedehnten Lektüre arabischer Quellen und ist für alle von Interesse, die sich für das Thema Modernisierung (und ihr Scheitern) im Nahen Osten sowie die Rezeptionsgeschichte der griechischen Antike aus einem ganz anderen Blickwinkel interessieren.