Es gibt Aussteiger, die die Zivilisation hinter sich lassen, und andere, die einer Sekte oder radikalen Gruppe den Rücken kehren. Harald Seubert ist ein intellektueller Aussteiger. Der studierte Philosoph, der regelmässig für die neurechte „Junge Freiheit‟ schrieb und Leiter des Studienzentrums Weikersheim war, des wohl bedeutendsten Think Tanks der Neuen Rechten, galt in seinen Kreisen lange ein Vorzeigeintellektueller. Als Inhaber eines Lehrstuhls für Philosophie gehörte er zur bürgerlichen Fassade der Neuen Rechten und so schien sein Ruf als anerkannter Platon-Forscher der gängigen These Hohn zu sprechen, dass Rechte keine Intellektuellen sein können. Dann kam der Bruch.
Über diesen Bruch, seine Vorgeschichte und die Zweifel am rechten Milieu berichtet Seubert in seinem Buch unter dem Titel Der Frühling des Missvergnügens. Es handelt sich bei der als „Intervention‟ untertitelten Schrift um eine Mischung aus Rückschau und Räsonnement, nur grob nach Schwerpunkten sortiert. Seubert will nicht abrechnen, er will Rechenschaft ablegen. Menschen, mit denen er jahrelang zusammengearbeitet hat und von denen er sich nun distanziert, werden kritisch, aber ohne Herablassung porträtiert.
Hans Filbinger, der als NSDAP-Mitglied und Richter im Dritten Reich für mehrere Todesurteile verantwortlich war und 1979 das Studienzentrum Weikersheim gründete, erscheint hier als tragische Figur, als jemand, der bis zu seinem Tod versucht hat, seinen Ruf wiederherzustellen. In der Person Filbingers „zerflossen die Konturen der Verteidigung und der historischen Realitäten wohl‟, Weikersheim war somit „auch ein Therapieinstrument, ein Privatinstitut zur Eigenverteidigung.‟ Filbinger ist kein Einzelfall, vielmehr symptomatisch für das, was Seubert als das „Elend des Deutschen Konservatismus‟ bezeichnet – ein Konservatismus, der sich um den Holocaust herumdrückt, ihn zwar nicht leugnet, aber die deutsche Verantwortung bagatellisiert, verdrängt, verharmlost.
Seubert, der ein ganzes Kapitel dem „neuen deutschen Antisemitismus‟ widmet, steht fest im bürgerlichen Lager. Das macht sein Buch so lesenswert: Hier schreibt ein Bürgerlicher gegen den Konservatismus an, dessen rechter Rand zu Esoterik und Geschichtsklitterung neigt, zu reaktionären Schwärmereien für Eurasien und den russischen Autoritarismus. Seubert selbst erweist sich dabei als Suchender, der vermeintlichen Gewissheiten skeptisch gegenübersteht. Die eigene Person spart er von Kritik nicht aus und bekennt sich zu seinen Verirrungen.
Dass Seubert sich zuweilen einer gespreizten Sprache bedient, kann man ihm angesichts der überaus scharfsinnigen Beobachtungen und Einsichten aus seinen Begegnungen mit Grössen der rechten Szene wohl verzeihen. Entstanden ist ein bemerkenswertes Zeitgemälde der Bundesrepublik und ihrer politischen Themen, angereichert durch philosophische Exkurse. Wer den Ausstieg aus der Höhle geschafft hat, sieht manche Dinge eben in einem klareren Licht als einer, der nie in ihr verharrt hat.
Harald Seubert. Der Frühling des Missvergnügens: Eine Intervention. Baden-Baden: Ergon, 2018. 170 Seiten, 28,00 EUR.