In einer Demokratie muss man sich schon entscheiden, was der zentrale Wert sein soll, den zu beschützen ihre Aufgabe ist: Freiheit oder Gerechtigkeit. Aber man täusche sich nicht: Zur individuellen Freiheit gehört eben auch, irrationale Entscheidungen zu treffen, die ihre Grenze nur dort finden, wo sie die Freiheit der anderen berührt. Wer hingegen die Gerechtigkeit, werde sie auch als soziale oder ökologische tituliert, zum zentralen Wert erhebt, wird der Freiheit bald verlustig gehen, ohne Gerechtigkeit je erlangt zu haben.
In den seltensten Fällen nämlich lässt sich mit Bestimmtheit sagen, ob jemand deshalb die Wohnung nicht bekommen oder den Arbeitsvertrag nicht erhalten hat, weil er die falsche Hautfarbe, das falsche Geschlecht oder den falschen Familiennamen besitzt. Die Annahme, dass jemand, der einer Minderheit angehört genau deswegen nicht das bekommen hat, auf das er einen Anspruch zu haben glaubt, steht auf wackligem Terrain. Vor allem aber helfen staatliche Fördermassnahmen immer nur kurzfristig. Langfristig setzt sich in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft das Bild fest, dass die so geförderten Minderheiten staatlicher Fürsorge bedürfen, weil sie es von sich aus nicht schaffen. Ein Teufelskreis.
Massnahmen, die dazu dienen, die Gesellschaft gleicher zu machen, sind weder gerecht noch mit der Idee individueller Freiheit vereinbar. Der Philosoph Isaiah Berlin hat gezeigt, warum die Vorstellung, es könne nicht falsch sein, der Gesellschaft zur Vorschrift zu machen, was Experten für richtig und moralisch gut befunden haben, obwohl es über die elementaren Regeln menschlichen Zusammenlebens weit hinausgehen mag, in die Unfreiheit führen muss. So werden wir unsere Freiheit verlieren, ohne auf anderem Gebiet etwas zu gewinnen.
Nachtrag 26. Januar 2022
Gerechtigkeit mit materieller Gleichheit zu identifizieren, ende nur in der Ungerechtigkeit, argumentiert ein Beitrag in der NZZ.