Eine iranische Demokratie

Ein Kommentar in der „Welt“ wiederkäut all die Argumente, die der Verfasser in einem anderen Kommentar gelesen hat, dessen Verfasser sich wiederum bei einem Historiker bedient, dessen Befunde zur iranischen Gesellschaft er selektiv zitiert. Ein tiefverwurzelter orientalischer Despotismus wäre demnach der Grund, warum Ansätze einer Demokratie scheitern müssen.

Gestern war auf dieem Blog die Rede davon, warum der konservative iranisch-amerikanische Publizist Sohrab Ahmari nicht glaubt, dass ein Regimewechsel in Iran eine Chance hat. Ahmari beruft sich dabei namentlich auf den Historiker Homa Katouzian, der sich intensiv mit den Voraussetzungen einer iranischen Demokratie befasst hat.

Demnach, so Ahmari unter Berufung auf Katouzian, genossen in Iran die sozialen Klassen keine vom Staat unabhängigen Rechte und gab es kein Gesetz außerhalb des Staates, weil dieser über der Gesellschaft stand und die Regeln nach Belieben änderte. In der „Welt“ nun macht sich ein Kommentar die Argumentation von Sohrab Ahmari und Homa Katouzian zu eigen, die beide auch explizit erwähnt werden.

Spice seller from ‚About Persia and its people. A description of their manners, customs, and home life. … Illustrated‘.“/ pdm 1.0

Katouzian hat die iranische Geschichte jedoch ein wenig differenzierter beurteilt, wie jeder leicht nachlesen kann. Sehr wohl habe es in Iran sozialen Wandel gegeben, aber eben nicht dauerhaft, weil es an einem stabilen Rechtsrahmen („an established and inviolable legal framework“) mangelte. Darin, so Katouzian, liege ein Unterschied zu den europäischen Gesellschaften,

Denn Europa verfügte über Aristokratien und Kaufmannsschichten, infolgedessen sich dort der Kapitalismus entwickeln konnte. In Iran hingegen fehlte es an Sicherheit für langfristige Investitionen – ohne Bürgerlichkeit kein Kapitalismus und kein Rechtsstaat. Allerdings kann man von diesem Befund auch zu einer gegensätzlichen Schlussfolgerung gelangen als Ahmari: Dass ein rechtsstaatlicher Rahmen umso dringlicher ist für einen prosperierenden Iran.

Der Klerus, nicht die Monarchie, ist das Problem

Dafür müsste jedoch zunächst das herrschende Regime beseitigt werden. Wer den Iranern nicht zutraut, nach einem Ende der Mullahherrschaft einen rechtsstaatlichen Rahmen zu errichten, sollte den Grund dafür nennen. Denn es gibt eine Erklärung dafür, warum es in Libyen und Irak nicht gelungen ist, den Weg zu Freiheit und Wohlstand zu gehen, wie ihn die meisten Ländern Europas und viele Länder in anderen Teilen der Welt gegangen sind.

In der arabischen Welt haben Intellektuelle nach dem zweiten Weltkrieg vor allem mit den lähmenden Nachwirkungen des Osmanischen Reiches argumentiert; in Deutschland hat der Politikwissenschaftler Peter Pawelka diesen Ansatz fortgeführt. In den USA sind es die Ökonomen Daren Acemoglu und James A. Robinson („Why Nations Fail“), die auf Pawelkas Linie argumentieren.

Dass in vielen Ländern, die einst zum Osmanischen Reich gehörten, die Modernisierung scheiterte, geht demnach auf einen Mangel an inklusiven Institutionen zurück. Iran hat jedch unter keinem osmanischen Vermächtnis zu leiden. Dort sind Bemühungen der vergangenen 150 Jahre, das Land zu modernisieren, vielmehr am Klerus gescheitert, weniger an der Monarchie.

Doch der Klerus und mit ihm der Islam spielen im heutigen Iran eine andere Rolle als in den türkischen oder arabischen Gesellschaften. Sie gelten als zu überwindende Hemmnisse für einen prosperierenden Iran. Darum: Eine iranische Demokratie hat vielleicht eine Zukunft; das Mullahregime jedenfalls hat keine.

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