Faschismusforscher auf Abwegen

Der Philosoph Jason Stanley wurde einer deutschen Öffentlichkeit bekannt, als er angeblich aus politischen Gründen seine amerikanische Universität verliess, um an eine kanadische zu wechseln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte der Faschismus , den er aktuell in den USA unter Trump am Werke sieht. Dann sollte Stanley eine Rede im Frankfurter Westend halten und schaffte es, fast alles falsch zu machen.

Eingeladen hatte ihn – warum auch immer – die Jüdische Gemeinde Frankfurt; Anlass war der 9. November, der Jahrestag der Reichspogromnacht. Die Rede wurde schlecht aufgenommen, angeblich konnte er sie nicht zu Ende halten. Zeugen berichten anderes, aber darum geht es hier nicht, sondern um seine merkwürdige Analyse der deutschen Verhältnisse der Gegenwart und war er zum 9. November und zu Israel zu sagen hat.

So behauptet er in Bezug auf Israels Selbstverständnis als jüdischer Staat, Deutschland scheine «entschieden zu haben, dass nur jene jüdischen Stimmen zählen, die Israel bedingungslos unterstützen.» Darauf aufbauend beschuldigt er die Deutschen, dass sie sich anmassten zu bestimmen, wer jüdisch ist und wer nicht. Logisch ist diese Schlussfolgerung nicht.

Natürlich respektiert man das Selbstverständnis anderer Länder und ob Israel etwas anderes als ein jüdischer Staat sein sollte, ist eine rein innerisraelische Angelegenheit, die Nicht-Israelis nichts angeht. Doch Stanley bringt gegen Israel die liberale deutsch-jüdische Tradition in Stellung und kritisiert einen Staat, «der Bürger zweiter Klasse aufgrund von Religion oder ethnischer Zugehörigkeit schafft».

Kann man Gaza ernsthaft mit dem Warschauer Ghetto vergleichen?

Antisemitismus liegt für Stanley folglich dann, wenn nichtjüdische Deutsche solchen Juden keine Plattformen geben wollen, die, wie er, ihr Judentum gegen Israel einsetzen – das ist eine ganz neue Art, Antisemitismus zu definieren. Dass die jüdische Schriftstellerin und Journalistin Masha Gessen eine Analogie zwischen Gaza und dem Warschauer Ghetto gezogen hatte, findet Stanley denn auch keineswegs skandalös.

Umso mehr empört es ihn, dass sie deswegen den Hannah-Arendt-Preis nicht bekommen soll. Dabei hätte er als Faschismus-Forscher die Analogie aufs Schärfste zurückweisen müssen, denn das Warschauer Ghetto war Teil einer Vernichtungsmaschinerie, was man vom Gazastreifen beim besten Willen nicht behaupten kann. Erst wenn Israel den Gazastreifen eingerichtet hätte, um langfristig alle Araber umzubringen, träfe die Analogie zu.

Hannah Arendt, nach der der Preis benannt ist, mit dem Masha Gessen hätte ausgezeichnet werden sollen, missbraucht Stanley als Befürworterin eines Staates, «der Juden und Palästinensern die gleichen Rechte als gleichberechtigte Bürger einräumt», um damit zu unterstellen, in Israel sei dies heute nicht der Fall. Statdessen herrsche dort ein «Apartheid-System», was er weder belegt noch begründet.

Auch ist ihm entgangen, dass Hannah Arendt, wie man seit einiger Zeit durch den Fund neuer Quellen weiss, engagierte Zionistin war; sie gegen einen angeblichen Apartheid-Staat Israel ins Feld zu führen, ist ausgesprochen perfide. Ebenso versteht Stanley den deutschen Begriff «Passdeutscher» falsch, nämlich als pauschale Abwertung eingebürgerter Migranten.

Tatsächlich werden mit «Passdeutsche» meist Einwanderer bezeichnet, die sich trotz Einbürgerung mit diesem Land nicht identifizieren und eine islamistische Agenda verfolgen. Problematisch wird es erst, wenn dieser Begriff auf alle eingebürgerten Migranten bezogen wird. Zwar ist richtig, dass er einen rechtspopulistischen Beigeschmack hat und man ihn nicht ohne weiteres verwenden sollte.

Was ist eine “multikulturelle Demokratie”?

Aber sich deshalb mit allen «Passdeutschen» verbunden zu fühlen, also offenbar auch mit jenen, die die Werte des Grundgesetzes ablehnen und ein Kalifat anstreben, ist Ausdruck intellektueller Unreife. Stanley aber sieht den Unterschied nicht und setzt gegen die Dämonisierung von Migranten durch politische Zirkel rechtsaussen eine unterschiedslose Parteinahme für Migranten, wie man sie sonst nur in linksaussen stehenden Zirkeln findet.

Wer dermassen unterkomplexe Aussagen zur Migration zu verkünden hat, darf am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung einen Vortrag halten. Doch bleiben wir bei seinem Redetext: Wenn er behauptet, dass die liberale Demokratie das Gegenteil von Faschismus ist, hat er auch hier zunächst recht. Deutschland aber solle den Weg zu einer «multikulturellen Demokratie» einschlagen, die Stanley abermals nicht weiter präzisiert. Ist das nun ein Synonym für die liberale Demokratie – oder eine spezielle politische Bussform für die Deutschen?

Wer Begriffe unreflektiert verwendet, historisch falsche Analogien nicht erkennt und überhaupt das Thema verfehlt – zur Erinnerung: es ging um den 9. November –, der sollte sich nicht Philosoph nennen und noch weniger sich wundern, wenn seine Rede schlecht aufgenommen wird. Dass Stanley im Interview mit der Taz behauptet, er «unterstütze uneingeschränkt die Existenz des Staates Israel», macht die Sache nur noch konfuser. Freilich kann man all dies ungereimte Zeug auch als weiteren Beleg dafür nehmen, dass die Geisteswissenschaften nicht mehr das sind, was sie einmal waren.

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