367 Tage

Der “Welt”-Journalist Deniz Yücel frei und das Bangen und Warten hat glücklicherweise ein Ende – für ihn, seine Angehörigen, seine Freunde und Kollegen. Der Vorwurf der Terrorunterstützung, wie er von türkischer Seite erhoben wurde, war und ist absurd und die Inhaftierung eines Journalisten über ein Jahr hinweg, ohne Anklage zu erheben, jenseits aller Rechtsstaatlichkeit. Befremdlich aber bleibt, wie Yücel hierzulande als Volksheld gehandelt wird. Dazu gibt Yücels eigenes, wenig professionelles Verhalten keinen Anlass.

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Für Demokratie und Freiheit – und gegen Israel

Von aussen kommt der “International Congress for Democracy and Freedom” wie ein schmuckes Kästchen daher, auf dem in goldenen Lettern “progressiv” geschrieben steht. Im Inneren findet sich jedoch nur der altbekannte, unverdauliche Klumpatsch aus Weltschmerz, Ökohysterie und Ressentiment.

“Das 21. Jahrhundert begann mit schwerwiegenden politischen Verwerfungen” heisst es und im folgenden wird beklagt: Die Instrumentalisierung von Religionen. Die Durchsetzung autoritärer Regime. Die Schere zwischen Arm und Reich. Perspektivlosigkeit. Kriminalisierung. Auslöschung von Hoffnungen. – Man hätte noch hinzufügen können: Scheinheiligkeit.

Diese zeigt sich im Umgang der Tagung mit Israel und zwar dergestalt, dass die Veranstalter allen Ernstes die Idee hatten, mit Selma Dabbagh eine “Anwältin für Menschenrechte” einzuladen, die sich einem “kulturellen Boykotts Israels” verschrieben hat. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, einer Israelkritikerin eine Stimme geben zu wollen, dann muss man sich dennoch fragen, ob es Sinn macht, eine Person für eine Diskussion zu gewinnen, die selber gar nicht diskutieren will, jedenfalls nicht mit Israelis.

Die Veranstalter haben damit jedoch kein Problem und so finden sich folgerichtig im Panel “Fokus Naher Osten” allein arabische Namen unter den Diskussionsteilnehmern. Neben der erwähnten Selma Dabbagh sind das Leyla Dakhli (eine Historikerin), Bashshar Haydar (Philosoph) und Khaled Khalifa (Autor). Hätte man einen Israeli hinzugenommen, wäre Frau Dabbagh ausgestiegen und das wollten die Veranstalter nicht riskieren.

Der einzige Israeli im Programm, Carlo Strenger, darf sich allein zum Thema “Leben mit Unsicherheit” äussern. Auch gibt es nicht einen Referenten, der über die Menschenrechtsverletzungen im Iran hätte referieren können, obgleich im Grusswort zur Tagung ausdrücklich “die Durchsetzung autoritärer Regime auf nahezu allen Kontinenten” wie auch “die Kriminalisierung von Homosexuellen und Transgendern” thematisiert wird.

Die Tagung ist also hübsch einseitig. Das ganze Programm macht den Eindruck, als sei es von einer linken Fachschaft Sowi ausgeheckt worden. Das wäre für sich genommen kein Skandal, aber hier sind einmal mehr Steuergelder im Spiel, indem die Veranstaltung u.a. vom Bundesfamilienministerium und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.

Beide lassen sich vor den Karren einer Tagung spannen, die unter dem Deckmantel, ein Forum für Stimmen zum Thema Demokratie und Freiheit zu sein, nicht nur einer BDS-Aktivistin Raum gibt, sondern auch noch mit dem Ansinnen letzterer, nicht mit Israelis auf einem Podium sitzen zu müssen, konform geht.

“Es bedarf riesiger Anstrengungen, um die Ungerechtigkeiten und das Leid so vieler Menschen zumindest zu mildern” heisst es im Grusswort. Manch einer wäre schon zufrieden, wenn das intellektuelle Elend einer zum Teil mit öffentlichen Geldern finanzierten Tagung gemildert würde. “Wir sind für Demokratie und Freiheit – und gegen Israel” wäre bis dahin ein passenderer Titel.

Nazis an der Weinstrasse

Während in Frankfurt eine Weltkriegsbombe die grösste Evakuierung in der Geschichte der Bundesrepublik zwingend macht und den ein oder anderen vielleicht darüber nachdenken lässt, welches die Hintergründe ihres Abwurfs waren, hat man im pfälzischen 800-Seelen-Dorf Herxheim am Berg kein Problem mit der Nazi-Vergangenheit.

Der Skandal liegt nicht so sehr die Tatsache, dass eine Kirchenglocke mit dem Namen Adolf Hitlers und einem Hakenkreuz zum Gebet läutet, denn Name und Symbol sind im öffentlichen Raum nicht sichtbar, sondern im Glockenturm verborgen, sodass von einer verbotenen Wiederbetätigung keine Rede sein kann. Welcher Kirchgänger hat je die Glocke seines Gotteshauses in Augenschein nehmen können?

Nein, der Skandal liegt vielmehr in der Tatsache, dass Bürgermeister Ronald Becker offen seinen Stolz über diese Rarität – die im Besitz der Gemeinde Herxheim befindliche Glocke soll eine von dreien mit dem Namen Adolf Hitlers sein – bekundet und ungerührt vor der Kamera erklärt, dass unter der NS-Herrschaft nicht alles schlecht gewesen sei. Er empfiehlt, dass über Hitlers Wirken umfangreich berichtet werden möge, nämlich nicht nur über dessen Greueltaten, sondern auch über “die Sachen, die er in die Wege geleitet hat und die wir heute noch benutzen.”

Auf die Nachfrage einer Journalistin der ARD, dass man die (hier muss man hinzufügen: vermeintlich) guten Seiten des “Dritten Reiches” nicht von Krieg und Massenmord trennen könnte, bekräftigte der Bürgermeister noch einmal seine Gesinnung, indem er zur Auskunft gibt, dass es da eben “verschiedene Ansichten” gebe. So einfach ist das.

Neonazis und NS-Verharmloser wird es in Deutschland immer geben. Das kann man nicht verhindern. Verhindern kann man aber, dass NS-Verherrlicher jemals wieder eine relevante politische Kraft in diesem Land werden. Dieser Fall ist deshalb in höchstem Masse alarmierend, weil die Verherrlichung der NS-Zeit von einem Bürgermeister und damit von einem Repräsentanten des Staates kommt.

Während andere Kleinstädte gegen NPD-Aufmärsche und die Errichtung von NPD-Schulungszentren kämpfen, behauptet hier ein Bürgermeister seelenruhig vor der Kamera, es sei damals doch nicht alles schlecht gewesen. Würde diesem Bürgermeister bitte einmal jemand erklären, dass die politische Kultur der Bundesrepublik auf dem Gedanken des völligen Bruchs mit der NS-Herrschaft beruht und nicht darauf, dass man da irgendwie geteilter Meinung sein kann.

Wurndert es da noch, dass auch unter den Dorfbewohnern manche den Wunsch äussern, auch einmal positiv über die NS-Zeit zu berichten? Der Fisch fängt eben vom Kopf an zu stinken. Man kann nur hoffen, dass die Partei der Freien Wähler, der der Bürgermeister angehört, ihr Mitglied diszipliniert und besser noch hochkant hinauswirft. Sonst kann man sich gleich den angekündigten Vortrag über die “Nazizeit an der Weinstrasse” sparen.

Völkisches Brodeln

Als ich vor vielen Jahren einmal Stipendiat des Staates Israel war, wurde ich mit den anderen Stipendiaten vom Aussenministerium in Jerusalem eingeladen. Dort erhielten wir als Willkommensgeschenk u.a. eine Broschüre mit Fragen und Antworten rund um das Thema Israel, in der es auch ein Lemma “Holocaust” gab. Was ich dort las (ich habe die Broschüre heute noch), verblüffte mich.

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Die Übergriffe von Köln, das Mass der Enthüllung – und was christliche Russen damit zu tun haben

Als ich das erste Mal in Syrien war, wurde ich eines Tages auf offener Strasse von einer jungen Frau angesprochen. Sie war Europäerin, aus Schottland, und sie bat mich, sie ein Stück des Weges zu begleiten. Sie werde immer aufs Ãœbelste belästigt und benötige daher Schutz.

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Signale aus der Grauzone

In meiner Studienzeit hatte ich einen Kommilitonen, mit dem ich mich gut verstand und der eigentlich ganz anders heisst, hier aber Tayfun genannt werden soll. Tayfun war ein netter Kerl, damals, Ende der Neunziger. Weil er in seinem Wohnheim keinen Fernseher hatte, kam er häufiger zu mir, um die Nachrichten zu schauen.

Er war ein gläubiger Muslim, hielt sich an die Speisevorschriften und führte auch sonst ein recht asketisches Leben, hatte aber auch Humor. Anderen Menschen begegnete er mit der Coolness eines Sufis, der dieser Welt enthoben ist. Naja, nicht ganz enthoben, er war auch immer hinter den Frauen her. Tayfun nahm an interreligiösen Treffen teil und lebte einen Islam des Friedens und der Mitmenschlichkeit. Gewalt lehnte er ab.

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Stillos

Natürlich kann man eine Menge gegen die Linkspartei sagen. Dieses Blog gehört ganz bestimmt nicht zu ihren Sympathisanten und dass Innenminister de Maizière die Beobachtung von Linke-Abgeordneten durch den Verfassungsschutz hat einstellen lassen, ist ein Unding, solange es in der Partei noch ganz offiziell eine “Kommunistische Plattform” gibt. „Stillos“ weiterlesen

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