Wer ist Migrant?

Auf “Spiegel Online” fordert die Diversitätsaktivistin Ferda Ataman eine Abschaffung des Migrationshintergrundes aus der Bevölkerungsstatistik, weil ein solcher ohnehin schwer ermittelbar sei und als Kategorie mehr Verwirrung als Klarheit schaffe. So weit, so gut.

Dann jedoch macht sie eine 180-Grad-Kehrtwende und behauptet, dass mehr als die Hälfte der Deutschen einen Migrationshintergrund habe, weswegen die “frenetischen Volksfreunde, die Arier für Deutschland” nun einpacken könnten. In einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen einen Migrationshintergrund haben, macht die Vorstellung, sie möglichst homogen zu halten, keinen Sinn.

Moment mal: Wer sind denn die “frenetischen Volksfreunde, die Arier für Deutschland”? Damit müssen Neonazis gemeint sein, Frau Ataman spezifiziert sie nicht. Aber lohnt sich eine öffentliche Auseinandersetzung mit Neonazis? Die Gesellschaft jedenfalls hat längst akzeptiert, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein. Was also soll hier gesagt werden?

Frau Ataman kritisiert an einem Beitrag der ARD den laxen Umgang mit Statistik. Ihr eigenen Umgang damit ist allerdings nicht weniger lax. Ihre Behauptung, die Mehrheit der Deutschen habe einen Migrationshintergrund hat sie beim Schriftsteller Navid Kermani gefunden, der einfach Aussiedler und Vertriebene mit einbezieht.

Sog. “Volksdeutsche” Beleg für die Behauptung zu nehmen, Deutschland sei mehrheitlich ein Land von Migranten, ist allein schon haarsträubend, weil sie die deutsche Herkunft ausklammert. Ein Deutscher, der nach Deutschland übersiedelt, ist eben kein Einwanderer, sondern ein Übersiedler. Die Unterscheidung wird aus gutem Grund gemacht, denn jeder Nationalstaat, nicht nur der deutsche, ist um einer Titularnation willen gegründet worden, deren Mitglieder zum Teil auch jenseits der Landesgrenzen leben.

Diese Menschen sind Teil der (Vorsicht, altmodisches Wort:) Nation. So hat Griechenland Anfang des 20. Jahrhundert griechische Flüchtlinge aus Kleinasien aufgenommen, weil sie Teil der griechischen Nation waren. Sie haben ihre eigenen lokalen Traditionen, die sie aus Kleinasien mitbrachten, und pflegten ihren eigenen Dialekt, sind aber keine Fremden, keine Ausländer, im strengen Sinne des Wortes: keine Einwanderer.

Diese Dinge festzustellen hat nichts mit Nationalismus zu tun. Sicherlich kann die Vorstellung, in einer ethnisch homogenen Gesellschaft zu leben, im Zeitalter der Globalisierung kein Ideal mehr sein und in der Tat sollten wir nicht nur über die Probleme, sondern auch über die Vorzüge von Migration reden, zumal Deutsche auch immer in andere Länder ausgewandert sind. Aber solange wir ein Nationalstaat sind, bleibt die Unterscheidung von Migranten und Übersiedlern gültig.

Wie kommt Navid Kermani nun aber auf die Idee, mit Übersiedlern und Vertriebenen eingerechnet sei die Mehrheit der deutschen Bevölkerung eingewandert? Das ist die Frage. Insgesamt beträgt die Zahl der Menschen, die seit 1950 aus Osteuropa in die Bundesrepublik übergesiedelt ist, etwa viereinhalb Millionen. Rechnet man sie rein hypothetisch zu den Gastarbeitern der ersten bis dritten Generation, sowie weiteren Einwanderern hinzu, kommt man nie im Leben auf eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung, also auf insgesamt mehr als 40 Millionen.

Und die Vertriebenen? Der “Bund der Vertriebenen” liefert keine Statistik, weil die deutschen Flüchtlinge aus den Ostgebieten “juristisch definitorisch nicht erfasst” sind. Aber das ist noch nicht alles. Ataman verweist auf eine Studie des “Mediendienstes Integration”, wonach bei der Zuschreibung des Migrationsstatus in der amtlichen Statistik mit zweierlei Mass gemessen werde: Während bei Zuwanderern mit deutscher Staatsangehörigkeit ihre Migration nicht berücksichtigt wird, wird sie nicht-deutschen Zuwanderern selbst noch in der dritten Generation angehängt.

Dazu muss gesagt werden, dass sich viele Migranten selbst dann nicht als Deutsche sehen, wenn sie eingebürgert sind. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Inwieweit sich dies über die Generationen abmildert, ist nicht ganz klar. Es muss keinesfalls so sein, dass jemand, dessen Grosseltern aus der Türkei eingewandert sind, sich als Deutscher versteht, aber auch nicht unbedingt als Türke. Es kann sein, dass seine muslimische Identität umso ausgeprägter ist.

Folgen wir aber der Argumentation der Studie, wonach allgemein Menschen, deren Grosseltern Einwanderer waren, selbst keine mehr sind, dann ist die Behauptung von Navid Kermani und Ferda Ataman, wonach die Mehrheit der Deutschen einen Migrationshintergrund haben soll, erst recht fragwürdig, wenn nicht kompletter Unsinn.

Wenn Frau Ataman als Sprecherin der Organisation “Neue deutsche Organisationen” die Botschaft vermittelt, Deutschsein sei heute “mehr, als deutsche Vorfahren zu haben”, dann  möchte man ihr zurufen: Willkommen im 21. Jahrhundert! Dass Deutschsein keine Frage der Herkunft ist, hat die Mehrheit der deutschen Bevölkerung seit gut zwei Dekaden akzeptiert.

Dafür ist etwas anderes umso deutlicher geworden: Dass die Fixierung auf Identität und Herkunft selbst bei denen noch zu beobachten ist, die gegen die Fixierung auf Identität und Herkunft ankämpfen.

367 Tage

Der “Welt”-Journalist Deniz Yücel frei und das Bangen und Warten hat glücklicherweise ein Ende – für ihn, seine Angehörigen, seine Freunde und Kollegen. Der Vorwurf der Terrorunterstützung, wie er von türkischer Seite erhoben wurde, war und ist absurd und die Inhaftierung eines Journalisten über ein Jahr hinweg, ohne Anklage zu erheben, jenseits aller Rechtsstaatlichkeit. Befremdlich aber bleibt, wie Yücel hierzulande als Volksheld gehandelt wird. Dazu gibt Yücels eigenes, wenig professionelles Verhalten keinen Anlass.

Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei witterte der Machtapparat überall Feinde und rückt jede Kritik an der Regierung in die Nähe eines Verrates an der Türkei. Während die staatlichen Institutionen von einer politischen Säuberungswelle erfasst wurden, verloren Journalisten reihenweise ihre Akkreditierung. Anders als in Deutschland ist in der Türkei eine solche Akkreditierung notwendig, um überhaupt als Journalist tätig sein zu dürfen.

Viele westliche Medien mussten daraufhin ihre Korrespondenten abziehen oder austauschen. Seitdem berichtet z.B. für den “Spiegel” nicht mehr Hasnain Kazim, sondern Maximilian Popp aus Istanbul. Auch Deniz Yücel verlor seine Akkreditierung und durfte fortan nicht nur für türkische, sondern auch für ausländische Medien nicht mehr aus der Türkei berichten. Da er neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, war es ihm jedoch noch möglich, in die Türkei einzureisen. Was er auch tat.

Was dann geschah, macht einen fassungslos. Wenn man sich als deutscher Tourist in Gebiete begibt, vor deren Betreten das Auswärtige Amt warnt, um dann in die Hände philippinischer oder algerischer Islamisten zu geraten, die mit der Köpfung ihrer Geisel drohen, wenn kein Lösegeld gezahlt wird, dann ist das Auswärtige Amt zwar dazu verpflichtet, sich für seinen Staatsbürger einzusetzen. Dieser kriegt im Falle seiner Befreiung u.U. aber eine saftige Rechnung vorgesetzt. Man begibt sich eben nicht wissentlich in Gefahr.

Selbst dort, wo keine unmittelbare Gefährdung für Leib und Leben gegeben ist, wo aber autoritär-faschistoide Verhältnisse herrschen, wie in Iran oder Nordkorea, ist man folglich gut beraten, sich peinlich genau an die örtlichen Gesetze zu halten, ganz egal, ob man sich dort als Journalist, Geschäftsperson oder Tourist aufhält. Oder man fährt dort einfach nicht hin.

Yücel wusste das alles sehr genau und sehr viel besser als die meisten Menschen in Deutschland, denn er hatte ja lange aus und über die Türkei berichtet. Er wusste, dass der türkische Staatsapparat paranoid ist. Er wusste, dass man in Erdogans Türkei wegen irgendwelcher unverfänglich scheinender Kleinigkeiten schnell in den Verdacht geraten kann, ein Sympathisant der PKK oder der Cemaat zu sein. Dennoch berichtete, recherchierte, textete er.

Dabei braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen: Die Tatsache, dass Yücel seine Akkreditierung verloren hatte, ist schon ein Zeichen dafür, dass er im Visier des türkischen Staates stand. Jede, auch nur kleinste Gesetzesübertretung könnte Yücel ins Gefängnis bringen. Dachte er wirklich, wenn die “Welt” seine Artikel abdruckte, die er aus der Türkei schickte, dass die türkische Botschaft in Berlin nicht mitlesen würde?

Auch Yücels Arbeitgeber, die “Welt”, hat sich unprofessionell verhalten, als sie ihn trotz entzogener Akkreditierung berichten liess und seine Texte unter seinem Klarnamen veröffentlichte. Wie die FAZ in Erfahrung gebracht hat, sind aus diesem Grund einige im Auswärtigen Amt nicht gut auf die Verantwortlichen bei der “Welt” zu sprechen. Man habe die Redaktion sogar gewarnt, dass das Amt nicht viel für Yücel würde tun können, sollte dieser ohne Akkreditierung in der Türkei arbeiten und in Schwierigkeiten geraten.

Dass die “Welt” Yücel dennoch nicht aus der Türkei abziehen wollte, ist umso weniger verständlich, als Doppelstaatler sich in einer rechtlich besonders prekären Situation befinden: Yücel und die “Welt” mussten wissen, dass der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit in solch einem Falle wie dem vorliegenden wenig nützt, wenn der Betreffende auch noch die türkische Staatsangehörigkeit innehat. Dann nämlich wird ein in der Türkei Inhaftierter wie ein türkischer Staatsangehöriger behandelt und bleiben deutsche Ansprüche aussen vor.

Doch als Yücel verhaftet wurde, verfiel man in der “Welt” auf einen PR-Trick, der vom eigenen Versagen wunderbar ablenkte: Anstatt sich die eigene Schuld einzugestehen, inszenierte man sich als warmherzige Journalistenfamilie, die mit Yücel und dessen Angehörigen gemeinsam bangt, fiebert, leidet und hofft. Auf einmal wurde Yücel zu einer Ikone des selbstlosen Einsatzes für die Pressefreiheit, die stellvertretend für die vielen unter Erdogan Inhaftierten steht, die ihrerseits zum Teil ohne Anklage und auf ungleich längere Zeit im Knast sitzen werden.

Die Frage, die sich stellt, ist daher nicht allein, ob Aussenminister Gabriel irgendeinem Deal mit der türkischen Regierung zugestimmt hat, wobei ein solcher Deal, sofern er die deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen nicht berührt, keineswegs ehrenrührig wäre. Wenn man es mit einem Entführer zu tun hat, steht das Leben der Geisel immer über allem anderen.

Nein, die Frage ist vielmehr, ob Yücel und die “Welt” für ihr unverantwortliches Verhalten vom Auswärtigen Amt eine Rechnung für die politischen Anstrengungen präsentiert bekommen, die nötig waren, um den “Welt”-Journalisten zu befreien – oder ob der Status einer Pop-Ikone des Journalismus schwerer wiegt.

Sicherlich wird Yücel in den kommenden Wochen in den Talkshows herumgereicht werden und bald seine Erfahrungen in einem Buch unter die Menschen bringen, vielleicht unter dem Titel “Meine 367 Tage in Erdoğans Knast”. Aber sonst? In der Videobotschaft, die Yücel nach seiner Freilassung an seine Unterstützer gerichtet hat, ist kein Wort der Entschuldigung zu hören. Stattdessen spricht er davon, dass seine Verhaftung nichts mit Recht und Gerechtigkeit zu tun hatte.

Er scheint ehrlich überrascht, dass beides in Erdogans Türkei abgeschafft ist.


Nachtrag 10. Mai 2019

Nach eigenen Angaben ist Yücel während seiner Haft gefoltert worden. Die “Welt” berichtet von systematischen Schlägen, Bedrohungen und Entwürdigungen, wofür Yücel den türkischen Präsidenten Erdogan persönlich verantwortlich macht. — Ganz klar, hier gebührt Yücel unsere volle Solidarität.

Für Demokratie und Freiheit – und gegen Israel

Von aussen kommt der “International Congress for Democracy and Freedom” wie ein schmuckes Kästchen daher, auf dem in goldenen Lettern “progressiv” geschrieben steht. Im Inneren findet sich jedoch nur der altbekannte, unverdauliche Klumpatsch aus Weltschmerz, Ökohysterie und Ressentiment.

“Das 21. Jahrhundert begann mit schwerwiegenden politischen Verwerfungen” heisst es und im folgenden wird beklagt: Die Instrumentalisierung von Religionen. Die Durchsetzung autoritärer Regime. Die Schere zwischen Arm und Reich. Perspektivlosigkeit. Kriminalisierung. Auslöschung von Hoffnungen. – Man hätte noch hinzufügen können: Scheinheiligkeit.

Diese zeigt sich im Umgang der Tagung mit Israel und zwar dergestalt, dass die Veranstalter allen Ernstes die Idee hatten, mit Selma Dabbagh eine “Anwältin für Menschenrechte” einzuladen, die sich einem “kulturellen Boykotts Israels” verschrieben hat. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, einer Israelkritikerin eine Stimme geben zu wollen, dann muss man sich dennoch fragen, ob es Sinn macht, eine Person für eine Diskussion zu gewinnen, die selber gar nicht diskutieren will, jedenfalls nicht mit Israelis.

Die Veranstalter haben damit jedoch kein Problem und so finden sich folgerichtig im Panel “Fokus Naher Osten” allein arabische Namen unter den Diskussionsteilnehmern. Neben der erwähnten Selma Dabbagh sind das Leyla Dakhli (eine Historikerin), Bashshar Haydar (Philosoph) und Khaled Khalifa (Autor). Hätte man einen Israeli hinzugenommen, wäre Frau Dabbagh ausgestiegen und das wollten die Veranstalter nicht riskieren.

Der einzige Israeli im Programm, Carlo Strenger, darf sich allein zum Thema “Leben mit Unsicherheit” äussern. Auch gibt es nicht einen Referenten, der über die Menschenrechtsverletzungen im Iran hätte referieren können, obgleich im Grusswort zur Tagung ausdrücklich “die Durchsetzung autoritärer Regime auf nahezu allen Kontinenten” wie auch “die Kriminalisierung von Homosexuellen und Transgendern” thematisiert wird.

Die Tagung ist also hübsch einseitig. Das ganze Programm macht den Eindruck, als sei es von einer linken Fachschaft Sowi ausgeheckt worden. Das wäre für sich genommen kein Skandal, aber hier sind einmal mehr Steuergelder im Spiel, indem die Veranstaltung u.a. vom Bundesfamilienministerium und der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird.

Beide lassen sich vor den Karren einer Tagung spannen, die unter dem Deckmantel, ein Forum für Stimmen zum Thema Demokratie und Freiheit zu sein, nicht nur einer BDS-Aktivistin Raum gibt, sondern auch noch mit dem Ansinnen letzterer, nicht mit Israelis auf einem Podium sitzen zu müssen, konform geht.

“Es bedarf riesiger Anstrengungen, um die Ungerechtigkeiten und das Leid so vieler Menschen zumindest zu mildern” heisst es im Grusswort. Manch einer wäre schon zufrieden, wenn das intellektuelle Elend einer zum Teil mit öffentlichen Geldern finanzierten Tagung gemildert würde. “Wir sind für Demokratie und Freiheit – und gegen Israel” wäre bis dahin ein passenderer Titel.

Nazis an der Weinstrasse

Während in Frankfurt eine Weltkriegsbombe die grösste Evakuierung in der Geschichte der Bundesrepublik zwingend macht und den ein oder anderen vielleicht darüber nachdenken lässt, welches die Hintergründe ihres Abwurfs waren, hat man im pfälzischen 800-Seelen-Dorf Herxheim am Berg kein Problem mit der Nazi-Vergangenheit.

Der Skandal liegt nicht so sehr die Tatsache, dass eine Kirchenglocke mit dem Namen Adolf Hitlers und einem Hakenkreuz zum Gebet läutet, denn Name und Symbol sind im öffentlichen Raum nicht sichtbar, sondern im Glockenturm verborgen, sodass von einer verbotenen Wiederbetätigung keine Rede sein kann. Welcher Kirchgänger hat je die Glocke seines Gotteshauses in Augenschein nehmen können?

Nein, der Skandal liegt vielmehr in der Tatsache, dass Bürgermeister Ronald Becker offen seinen Stolz über diese Rarität – die im Besitz der Gemeinde Herxheim befindliche Glocke soll eine von dreien mit dem Namen Adolf Hitlers sein – bekundet und ungerührt vor der Kamera erklärt, dass unter der NS-Herrschaft nicht alles schlecht gewesen sei. Er empfiehlt, dass über Hitlers Wirken umfangreich berichtet werden möge, nämlich nicht nur über dessen Greueltaten, sondern auch über “die Sachen, die er in die Wege geleitet hat und die wir heute noch benutzen.”

Auf die Nachfrage einer Journalistin der ARD, dass man die (hier muss man hinzufügen: vermeintlich) guten Seiten des “Dritten Reiches” nicht von Krieg und Massenmord trennen könnte, bekräftigte der Bürgermeister noch einmal seine Gesinnung, indem er zur Auskunft gibt, dass es da eben “verschiedene Ansichten” gebe. So einfach ist das.

Neonazis und NS-Verharmloser wird es in Deutschland immer geben. Das kann man nicht verhindern. Verhindern kann man aber, dass NS-Verherrlicher jemals wieder eine relevante politische Kraft in diesem Land werden. Dieser Fall ist deshalb in höchstem Masse alarmierend, weil die Verherrlichung der NS-Zeit von einem Bürgermeister und damit von einem Repräsentanten des Staates kommt.

Während andere Kleinstädte gegen NPD-Aufmärsche und die Errichtung von NPD-Schulungszentren kämpfen, behauptet hier ein Bürgermeister seelenruhig vor der Kamera, es sei damals doch nicht alles schlecht gewesen. Würde diesem Bürgermeister bitte einmal jemand erklären, dass die politische Kultur der Bundesrepublik auf dem Gedanken des völligen Bruchs mit der NS-Herrschaft beruht und nicht darauf, dass man da irgendwie geteilter Meinung sein kann.

Wurndert es da noch, dass auch unter den Dorfbewohnern manche den Wunsch äussern, auch einmal positiv über die NS-Zeit zu berichten? Der Fisch fängt eben vom Kopf an zu stinken. Man kann nur hoffen, dass die Partei der Freien Wähler, der der Bürgermeister angehört, ihr Mitglied diszipliniert und besser noch hochkant hinauswirft. Sonst kann man sich gleich den angekündigten Vortrag über die “Nazizeit an der Weinstrasse” sparen.

Integration im Endstadium

DER EINE: Bilder von der Loreley, Schloss Benrath, dem Kölner Dom, der Semperoper – wie sieht denn deine Timeline auf Facebook aus? Bist du als Tourist in Deutschland auf der Suche nach Fotomotiven?

DER ANDERE: Ich finde, Deutschland ist ein tolles Land. Ich bin doch Deutscher. Eingewandert aus …, aber Deutscher. Schon seit mehr als zehn Jahren!

DER EINE: Das machst du ganz falsch. Einen wirklichen Deutschen erkennt man daran, dass er mindestens einmal am Tag auf seine Landsleute schimpft und sein Land verwünscht.

DER ANDERE: Warum das?

DER EINE: Na, ist doch ganz klar. Man ärgert sich immer über die eigene Familie, weniger über die Familie der anderen. Genauso ärgert man sich immer über sein eigenes Land, nicht über andere Länder. Jedenfalls nicht offen.

DER ANDERE: Das stimmt. Mir fällt es leichter, etwas Böses über meine Familie zu sagen, wenn ich mich ärgere, als über die Familien von anderen. Umgekehrt, denke ich, steht es anderen nicht zu, so über meine Familie zu schimpfen, wie ich es manchmal tue.

DER EINE: Siehst du. So geht es mir jeden Tag mit Deutschland. Wenn ich mir den Ökofimmel der Deutschen ansehe, wie sie mit Umweltzonen, Windrädern und Solartechnik die Umwelt retten wollen, bete ich [faltet die Hände], möge der Herr dieses Land auf die dunkle Seite des Mondes schiessen! Wenn ich den Rassismus und Fremdenhass der Deutschen sehe, dann flehe ich das Schicksal an [reckt die Hände gen Himmel], es möge eine Bombe auf dieses Land werfen! Wenn ich höre, die Deutschen wollen der Welt eine Lektion in Demokratie erteilen und meinen, Angela Merkel sei die Führerin der freien Welt, dann [schüttelt die Faust] wünsche ich mir, jemand möge die Deutschen in einen Sack stecken und den Knüppel drauf für ihre Hybris!

DER ANDERE: Wirklich?

DER EINE: Klar doch, versuch es mal! Sag “Möge der Herr dieses Land auf die dunkle Seite des Mondes schiessen!”

DER ANDERE [die Hände faltend]: Möge der Herr dieses Land auf die dunkle Seite des Mondes schiessen!

DER EINE: Jetzt flehe das Schicksal an, es möge eine Bombe auf dieses Land werfen!

DER ANDERE [die Hände gen Himmel reckend|: Möge das Schicksal eine Bombe auf dieses Land werfen!

DER EINE: Und jetzt sag “Jemand möge die Deutschen in einen Sack stecken und mit dem Knüppel verhauen!”

DER ANDERE [die Faust schüttelnd]: Jemand möge die Deutschen in einen Sack stecken und mit dem Knüppel verhauen!

DER EINE: Na bravo! Es geht doch. Willkommen im Club. [Sie umarmen einander.] Wie fühlt es sich an?

DER ANDERE: Beschissen.

Wer die Täter waren

Es ist ja nicht so, dass die Deutschen sich zu ihrer Vergangenheit nicht bekennen würden. Es gibt ein Holocaust-Mahnmal, überall Stolpersteine und eine gewachsene Gedenkkultur an das unfassbarste aller Verbrechen. Bei all dem darf freilich nicht vergessen werden, dass es vornehmlich Deutsche waren, die den Holocaust zu verantworten haben.

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Völkisches Brodeln

Als ich vor vielen Jahren einmal Stipendiat des Staates Israel war, wurde ich mit den anderen Stipendiaten vom Aussenministerium in Jerusalem eingeladen. Dort erhielten wir als Willkommensgeschenk u.a. eine Broschüre mit Fragen und Antworten rund um das Thema Israel, in der es auch ein Lemma “Holocaust” gab. Was ich dort las (ich habe die Broschüre heute noch), verblüffte mich.

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Die Übergriffe von Köln, das Mass der Enthüllung – und was christliche Russen damit zu tun haben

Als ich das erste Mal in Syrien war, wurde ich eines Tages auf offener Strasse von einer jungen Frau angesprochen. Sie war Europäerin, aus Schottland, und sie bat mich, sie ein Stück des Weges zu begleiten. Sie werde immer aufs Übelste belästigt und benötige daher Schutz.

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Signale aus der Grauzone

In meiner Studienzeit hatte ich einen Kommilitonen, mit dem ich mich gut verstand und der eigentlich ganz anders heisst, hier aber Tayfun genannt werden soll. Tayfun war ein netter Kerl, damals, Ende der Neunziger. Weil er in seinem Wohnheim keinen Fernseher hatte, kam er häufiger zu mir, um die Nachrichten zu schauen.

Er war ein gläubiger Muslim, hielt sich an die Speisevorschriften und führte auch sonst ein recht asketisches Leben, hatte aber auch Humor. Anderen Menschen begegnete er mit der Coolness eines Sufis, der dieser Welt enthoben ist. Naja, nicht ganz enthoben, er war auch immer hinter den Frauen her. Tayfun nahm an interreligiösen Treffen teil und lebte einen Islam des Friedens und der Mitmenschlichkeit. Gewalt lehnte er ab.

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