Nazis an der Weinstrasse

Während in Frankfurt eine Weltkriegsbombe die grösste Evakuierung in der Geschichte der Bundesrepublik zwingend macht und den ein oder anderen vielleicht darüber nachdenken lässt, welches die Hintergründe ihres Abwurfs waren, hat man im pfälzischen 800-Seelen-Dorf Herxheim am Berg kein Problem mit der Nazi-Vergangenheit.

Der Skandal liegt nicht so sehr die Tatsache, dass eine Kirchenglocke mit dem Namen Adolf Hitlers und einem Hakenkreuz zum Gebet läutet, denn Name und Symbol sind im öffentlichen Raum nicht sichtbar, sondern im Glockenturm verborgen, sodass von einer verbotenen Wiederbetätigung keine Rede sein kann. Welcher Kirchgänger hat je die Glocke seines Gotteshauses in Augenschein nehmen können?

Nein, der Skandal liegt vielmehr in der Tatsache, dass Bürgermeister Ronald Becker offen seinen Stolz über diese Rarität – die im Besitz der Gemeinde Herxheim befindliche Glocke soll eine von dreien mit dem Namen Adolf Hitlers sein – bekundet und ungerührt vor der Kamera erklärt, dass unter der NS-Herrschaft nicht alles schlecht gewesen sei. Er empfiehlt, dass über Hitlers Wirken umfangreich berichtet werden möge, nämlich nicht nur über dessen Greueltaten, sondern auch über «die Sachen, die er in die Wege geleitet hat und die wir heute noch benutzen.»

Auf die Nachfrage einer Journalistin der ARD, dass man die (hier muss man hinzufügen: vermeintlich) guten Seiten des «Dritten Reiches» nicht von Krieg und Massenmord trennen könnte, bekräftigte der Bürgermeister noch einmal seine Gesinnung, indem er zur Auskunft gibt, dass es da eben «verschiedene Ansichten» gebe. So einfach ist das.

Neonazis und NS-Verharmloser wird es in Deutschland immer geben. Das kann man nicht verhindern. Verhindern kann man aber, dass NS-Verherrlicher jemals wieder eine relevante politische Kraft in diesem Land werden. Dieser Fall ist deshalb in höchstem Masse alarmierend, weil die Verherrlichung der NS-Zeit von einem Bürgermeister und damit von einem Repräsentanten des Staates kommt.

Während andere Kleinstädte gegen NPD-Aufmärsche und die Errichtung von NPD-Schulungszentren kämpfen, behauptet hier ein Bürgermeister seelenruhig vor der Kamera, es sei damals doch nicht alles schlecht gewesen. Würde diesem Bürgermeister bitte einmal jemand erklären, dass die politische Kultur der Bundesrepublik auf dem Gedanken des völligen Bruchs mit der NS-Herrschaft beruht und nicht darauf, dass man da irgendwie geteilter Meinung sein kann.

Wurndert es da noch, dass auch unter den Dorfbewohnern manche den Wunsch äussern, auch einmal positiv über die NS-Zeit zu berichten? Der Fisch fängt eben vom Kopf an zu stinken. Man kann nur hoffen, dass die Partei der Freien Wähler, der der Bürgermeister angehört, ihr Mitglied diszipliniert und besser noch hochkant hinauswirft. Sonst kann man sich gleich den angekündigten Vortrag über die «Nazizeit an der Weinstrasse» sparen.

Wer die Täter waren

Es ist ja nicht so, dass die Deutschen sich zu ihrer Vergangenheit nicht bekennen würden. Es gibt ein Holocaust-Mahnmal, überall Stolpersteine und eine gewachsene Gedenkkultur an das unfassbarste aller Verbrechen. Bei all dem darf freilich nicht vergessen werden, dass es vornehmlich Deutsche waren, die den Holocaust zu verantworten haben.

«Wer die Täter waren» weiterlesen

Völkisches Brodeln

Als ich vor vielen Jahren einmal Stipendiat des Staates Israel war, wurde ich mit den anderen Stipendiaten vom Aussenministerium in Jerusalem eingeladen. Dort erhielten wir als Willkommensgeschenk u.a. eine Broschüre mit Fragen und Antworten rund um das Thema Israel, in der es auch ein Lemma «Holocaust» gab. Was ich dort las (ich habe die Broschüre heute noch), verblüffte mich.

«Völkisches Brodeln» weiterlesen

Die Übergriffe von Köln, das Mass der Enthüllung – und was christliche Russen damit zu tun haben

Als ich das erste Mal in Syrien war, wurde ich eines Tages auf offener Strasse von einer jungen Frau angesprochen. Sie war Europäerin, aus Schottland, und sie bat mich, sie ein Stück des Weges zu begleiten. Sie werde immer aufs Übelste belästigt und benötige daher Schutz.

«Die Übergriffe von Köln, das Mass der Enthüllung – und was christliche Russen damit zu tun haben» weiterlesen

Signale aus der Grauzone

In meiner Studienzeit hatte ich einen Kommilitonen, mit dem ich mich gut verstand und der eigentlich ganz anders heisst, hier aber Tayfun genannt werden soll. Tayfun war ein netter Kerl, damals, Ende der Neunziger. Weil er in seinem Wohnheim keinen Fernseher hatte, kam er häufiger zu mir, um die Nachrichten zu schauen.

Er war ein gläubiger Muslim, hielt sich an die Speisevorschriften und führte auch sonst ein recht asketisches Leben, hatte aber auch Humor. Anderen Menschen begegnete er mit der Coolness eines Sufis, der dieser Welt enthoben ist. Naja, nicht ganz enthoben, er war auch immer hinter den Frauen her. Tayfun nahm an interreligiösen Treffen teil und lebte einen Islam des Friedens und der Mitmenschlichkeit. Gewalt lehnte er ab.

«Signale aus der Grauzone» weiterlesen

Stillos

Natürlich kann man eine Menge gegen die Linkspartei sagen. Dieses Blog gehört ganz bestimmt nicht zu ihren Sympathisanten und dass Innenminister de Maizière die Beobachtung von Linke-Abgeordneten durch den Verfassungsschutz hat einstellen lassen, ist ein Unding, solange es in der Partei noch ganz offiziell eine «Kommunistische Plattform» gibt. «Stillos» weiterlesen

Schwarz. Rot. Gold.

Deutschland ist Fussball-Weltmeister, die Deutschen jubeln, und wieder stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit von soviel Schwarz-Rot-Gold auf den Strassen. Tobt da etwa die neue deutsche Volksgemeinschaft? Persönlich stehe ich dieser ganzen Fahnenschwenkerei reserviert gegenüber, halte es eher mit dem argentinischen Individualismus eines Jorge Luis Borges, womit wir das Thema eigentlich abhaken könnten. Eigentlich.

«Schwarz. Rot. Gold.» weiterlesen

Everybody’s a critic

«Generation War» heisst die englischsprachige Fassung des deutschen Fernseh-Dreiteilers «Unsere Mütter, unsere Väter»â€“ und die Kritiker im Vereinigten Königreich waren not amused. Das wiederum gefällt der London-Korrespondentin der FAZ gar nicht, wie sie in einem etwas launisch geschriebenen Artikel zum Besten gibt.

Der Film, der vor einem Jahr im deutschen Fernsehen lief, war vorab mit grossem Lob bedacht worden, u.a. in der FAZ. Wie sich seinerzeit herausstellte, hat Produzent Nico Hofmann tatsächlich grossartige Arbeit geleistet, was den Unterhaltungsfaktor angeht, aber rabiat versagt in Hinsicht auf historische Genauigkeit.

Während auf deutscher Seite Antisemitismus lediglich Sache einer Nazi-Elite war, fand er auf polnischer Seite starken Widerhall auch im einfachen Volk: das war das Bild, das der Film vermittelte. Dabei wissen wir nicht erst durch die Forschung von Daniel Jonah Goldhagen, wie weit Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft während der Nazi-Zeit verbreitet war.

Der Historiker Sebastian Haffner notierte, dass mit der Zweidrittelmehrheit im Parlament jeder Widerstand gegen Hitler dahingeschwunden war. Damals war das Hakenkreuz in die deutsche Masse «hineingeprägt worden», so Haffner, «wie in einen formlos-nachgiebigen, breiigen Teig.» Nur zu willig haben, wenn auch nicht alle, so doch viel zu viele Deutsche mitgemacht.

Der Fernsehfilm «Unsere Mütter, unsere Väter» liess davon nichts erahnen, erweckte vielmehr den Eindruck, Nazi-Ideologie und Judenhass seien ein Problem von SS-Offizieren gewesen. In deutschen Medien war dies gelegentlich und zu recht bemängelt worden.

Das hält die FAZ-Korrespondentin jedoch für keiner Erwähnung wert. Stattdessen bürstet sie den Kritiker Clive James ab, indem sie ihm, der doch soviel auf seine Kenntnis der deutschen Kultur halte, vorwirft, selber nichts begriffen zu haben. Noch mehr Arroganz geht nicht.

Umso erfreulicher, dass britische Kritiker dem Film nicht auf den Leim gegangen sind.

Blick zurück nach vorn

Noch nach fünfzig Jahren ist der überlieferte Briefwechsel zwischen Hans Blumenberg und Jacob Taubes aufschlussreich, wenn es um das intellektuelle Klima der 60er und 70er Jahre geht. Das gilt auch in Hinsicht auf den Umgang mit anderen Meinungen und Anschauungen seitens zweier Gelehrter in einer Zeit, in der der universitäre Betrieb noch stark von der Vergangenheit überschattet war.

«Blick zurück nach vorn» weiterlesen
Translate