Herr Lüders und der Sündenfall

Derzeit gross angesagt ist das im vergangenen Jahr erschienene Buch des Nahostexperten Michael Lüders, der aus den Medien weithin bekannt ist. Das Buch scheint gut anzukommen, wie auch eine völlig unkritische Rezension in den aktuellen DAVO-Nachrichten (Bd. 40/41, 2016, S. 192-7) zeigt. Tatsächlich handelt es sich bei dem Buch um ein Machwerk, wie gleich schon zu Beginn deutlich wird.

In „Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet‟ (München 2015) erklärt Michael Lüders den Sturz des iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh 1953 zum “Sündenfall schlechthin” westlicher Politik im Nahen Osten. Lüders verschweigt dabei, dass in der Forschung die Ansichten über diesen Vorgang geteilt sind.

Aktuell sind es vor allem zwei Monographien, die hier zu nennen sind. Die eine stammt von Abbas Milani („The Shah‟, New York 2012), die andere von Ervand Abrahamian („The Coup‟, New York und London 2013). Beide Autoren haben von denselben Archivalien Gebrauch gemacht, wobei jedoch die wichtigsten Dokumente – der CIA, des britischen MI6, des iranischen Militärs, der Tudeh, des sowjetischen Geheimdienstes und der Botschaft in Teheran, der Büros des Schahs und von Kashani und Boroujerdi u.a. – bis heute nicht zugänglich sind, wie Milani einräumt.

Während Milani erheblich Zweifel an der Faktizität eines amerikanischen Coups äussert, ist für Abrahamian die Sache klar: einen CIA-geführten amerikamischen Coup hat es gegeben. Wohlgemerkt: Beider Urteil beruht auf demselben Archivmaterial! Lüders folgt nun ganz der Argumentation Abrahamians und verliert seiner Leserschaft gegenüber kein Wort darüber, dass die Faktenlage offenbar so eindeutig nicht ist.

Tatsächlich weist Milani darauf hin, dass die Vorstellung von einem demokratischen Gemeinwesen, das erblüht wäre, hätte es den Sturz Mossadeghs nicht nicht gegeben, vom späteren islamischen Regime gleich nach 1979 gefördert wurde. Dieses Narrativ wurde abermals gestärkt, als 2000 US Secretary of State, Madeleine Albright, sich für Amerikas Rolle in dieser Angelegenheit entschuldigte. Nicht nur Milani vertritt die Ansicht, dass dieses Narrativ mehr Fragen aufwirft als beantwortet, zumal nur schwer vorstellbar ist, dass eine vermeintlich populäre Regierung so einfach gestürzt werden kann.

Milani beschreibt, wie Mossadegh auf doppelten Konfrontationskurs gegenüber den Briten wie auch gegenüber dem Schah ging. Den Schah behandelte Mossadegh ohne Respekt, isolierte ihn von der Politik und vom Militär, obgleich der Schah offiziell der militärische Oberbefehlshaber war. Am Ende nahm Mossadegh den Titel des Oberbefehlshabers, der eigentlich dem Schah zustand, für sich in Anspruch. Dieser versuchte über ein geheimes Offiziersdirektorat weiterhin Einfluss zu nehmen.

Mossadegh war auch gegen die Landreform, die der Schah als Notwendigkeit sah und bei der er mit der Vergabe von Kronland begann. Der Schah freilich sah den kommenden Widerstand voraus und tatsächlich bildete sich bald eine Allianz gegen die Landreform, bestehend aus Klerus und Grundherren. Der Schah erklärte, dass er bereit sei, das Land zu verlassen. Zwar sprach sich Mossadegh dagegen aus, doch war dies, wie Milani meint, wohl nur ein Schachzug: Nur zu gern hätte Mossadegh gesehen, dass der Schah das Land verlässt. Die Euphorie in seinem Land und das Öl-Problem habe er nutzen wollen, um seine politischen Gegner endgültig unschädlich zu machen.

Das Blatt begann sich für Mossadegh zu wenden, als der Schah im Februar 1953 verkündete, nun doch noch auf Reisen zu gehen. In Qom war es Ajatollah Boroujerdi, der sich von einem Anhänger Mossadeghs zu einem Unterstützer des Schahs wandelte. Im Parlament wurde währenddessen Mossadegh scharf dafür kritisiert, das Parlament nicht über die bevorstehende Reise des Schahs unterrichtet zu haben. Mossadegh plante nunmehr, ein Referendum abzuhalten, während er sich als Ministerpräsident des Volkes betrachtete, nicht des Königs oder des Parlaments, wie vorgesehen. Damit zeigte er nicht etwa seine demokratische Gesinnung, sondern, so Milani, erwies sich als Populist, der die repräsentative Demokratie verachtete.

Die Idee eines Referendums fiel auf geteilte Zustimmung. Dass Mossadegh separate Wahlurnen für Regierungsgegner aufstellen wollte, war Wasser auf die Mühlen seiner Gegner. Das Referendum, deren Ziele ursprünglich nicht klar waren, sollte ein Parlament auflösen, das noch in Mossadeghs Amtszeit gewählt worden war. Infolgedessen blies Mossadegh der Wind ins Gesicht. Zunehmend isoliert suchte er die Unterstützung bei den Kommunisten der Tudeh sowie der Nationalen Front (Jebhe-ye melli). Je radikaler sein eigenes Lager wurde, desto stärker vereinigten sich seine Gegner, die sich auf die britische und amerikanische Unterstützung verlassen konnten. Als das Referendum näherrückte, wurde der Sympathie für den Schah verdächtigte Offiziere in den Ruhestand geschickt oder verhaftet.

Halten wir an dieser Stelle inne. Wie nun stellt Lüders in seinem Buch Mossadegh dar? Entgegen den genannten Fakten verklärt er ihn zur Lichtgestalt, indem er schreibt:

„Er war ein überzeugter Anhänger des Parlamentarismus, ein Bewunderer Mahatma Gandhis, von Abraham Lincoln und der amerikanischen Demokratie. Heute hieße es wohl: Er teilte die westlichen Werte.‟

Wie kommt Lüders darauf?

Auf Abrahamian kann er sich jedenfalls nicht berufen, denn was Mossadeghs demokratische Gesinnung anbetrifft, so ist jener – bei allen sonstigen Differenzen – in diesem Punkt mit Milani einer Meinung. Abrahamian räumt ein, dass Mossadegh Gesetze „umgangen“ und sich stattdessen auf einen allgemeinen Willen berufen habe. Auch er beschreibt, dass Mossadegh separate Wahlurnen für Ja und Nein aufstellen liess. Dies habe seiner Popularität zwar keinen Abbruch getan, aber zum lupenreinen Demokraten wird Mossadegh auch bei Abrahamian nicht.

Sicher, Mossadegh war Konstitutionalist, aber diese Überzeugung hatte er dem Kampf gegen seine innenpolitischen Gegner geopfert. Man könnte sagen, Mossadegh war ein Staatsmann vom Schlage Erdogans. Dennoch preist Lüders ihn als „überzeugten Anhänger des Parlamentarismus‟ und als Quasi-Verfechter westlicher Werte. Eine solche Charakterisierung kann nur ideologisch motiviert sein: Lüders sieht grosszügig über Fakten hinweg, um seiner These vom westlichen Sündenfall im Nahen Osten grössere Plausibilität zu verleihen.

Hat man sich von da an bis zum Ende seines Buches durchgearbeitet, wundert man sich über nichts mehr – auch nicht darüber, wie Lüders abermals die Fakten in ihr Gegenteil verkehrt, wenn er, wieder mit Bezug auf Iran, schreibt: “Niemand glaube, […] Israels Ultranationalisten wären geneigt, sich mit der Islamischen Republik [Iran] ins Benehmen zu setzen.” So steht es da, allen Ernstes.

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