Kriegstagebuch Aleppo (5)

Der Strom ist immer noch unterbrochen, ebenso Wasser, Kommunikation und Verkehr. In Aleppo wandeln sich die Dinge vom schlechten zum schlechteren. In den Strassen sammeln sich die Müllbeutel, es gibt keine Stadtverwaltung. Geräusche von Gefechten rücken näher und näher und sind jetzt nahe dem Stadtzentrum.

Die Menschen in Aleppo suchen nach einem Laib Brot, niemand kümmert sich um die Nachrichten. Die Nachrichten sind für die Extremisten und die Kinder der Oberschicht. Was den Grossteil der Menschen betrifft, so gilt ihr einziges Interesse den Gasflaschen und dem Brot – und sonst nichts. Die steigenden Preise sind für die Armen das Phantom des Todes.

Das Interesse der Medien gilt den Salafisten und Militanten, aber nach und nach wandeln sich alle Syrer in Militante, denn Armut und Not machen aus einem liebevollen Menschen einen lieblosen. Was wäre, wenn du in Aleppo lebtest, wenn dein Arbeitsplatz verbrannt wäre und du Kinder hättest, aber kein Geld? Hier in Aleppo gibt es jemanden, der Teile seines Körpers zum Verkauf feilbietet.

Hier gibt es Leute, die über die Grenzen kamen und alles, was sie hier finden, als ihre Beute betrachten. Denn was verboten ist, wird in der Not erlaubt. Aleppo ist mittlerweile voll von Krisengewinnlern. Sie nutzen ihren Einfluss aus und handeln mit den elementaren Bedürfnissen der Bürger. Dabei ist die Situation von Damaskus erheblich besser als die von Aleppo.

Die Krisengewinnler sind überall, die Ausbeutung des Menschen ist zulässig geworden. Kinder mit dünner Kleidung, die nicht vor der Kälte schützt, müssen betteln gehen. Die Schulen in Aleppo sind allesamt voll von Obdachlosen. Die Märkte sind voll von türkischen Waren, während es keine syrischen mehr gibt, was daran liegt, dass alle Betriebe in Aleppo zu arbeiten aufgehört haben. Allmählich wird die syrische Währung verschwinden.

Gestern Nacht bis zum Morgen hielt auch der Gefechtslärm an. Viele Menschen entdecken morgens vor ihren Häusern, wenn sie zur Arbeit gehen, die Leichen unbekannter Personen. Natürlich wird der nächstgelegene Park zum Friedhof.

Um sieben in der Nacht ist alles vorbei. Jeder ist für seinen eigenen Schutz verantwortlich. Vielleicht wäre der Tod durch die Chemie keine üble Sache. Oder der Tod durch einen Bombenabwurf. Das schlimmste ist, wenn du getroffen wirst und am Leben bleibst. Denn dann kannst du jeden Moment sterben – und keiner ist da, der dir beisteht.

Aleppo, 11. 12. 2012

(Aus dem Arabischen von Michael Kreutz)

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