Besuch in Ankara

Populismus ist nicht gleich Polemik. Polemik ist legitimer Bestandteil der politischen Rhetorik und richtet sich gegen einzelne Personen oder bestimmte Forderungen der politischen Wettbeweber. Populismus jedoch zielt nach einem Wort des Philosophen Peter Sloterdijk darauf ab, Angst, Gier und Rachsucht als die in politischen Dingen allein verlässlichen Regungen erscheinen zu lassen.

Auf die Stimmungsmache von rechts folgt erwartungsgemäss die Stimmungsmache von links. Wenn aus der politische Mitte heraus populistische Parolen ertönen, dann stärkt das nur die Ränder des Spektrums, die man zu schwächen beabsichtigt, und untergräbt das Fundament der Demokratie. Das zeigt sich aktuell an der Äusserung von Bundeskanzler Merz über noch immer bestehende Probleme im Stadtbild.

Dass ihm dies unbefriedigend erschien, obwohl man doch die Migration gebremst habe und Rückführungen im grossen Stil plane, musste als Rassismus aufgefasst werden. Die spätere Klarstellung von Merz, er habe damit Migranten gemeint, die sich nicht an Regeln halten, und man möge doch bitte die eigenen Töchter fragen, die genau wüssten, was er meinte, erinnert an die Praxis der AfD, erst Kritik zu provozieren und dann zu beschwichtigen.

Berlin bei Nacht

Was dann kam, war vorherzusehen. Der Rechtspopulismus eines Friedrich Merz kehrte als brausende Woge des Linkspopulismus in die politische Arena zurück. Eine Gruppe von Aktionskünstlerinnen, die sich «Radikale Töchter» nennt, hat eine Unterschrifttenkampagne initiiert, die von «Femiziden» und «struktureller Gewalt gegen Frauen» spricht und dabei genauso undifferenziert und empirisch unbekümmert argumentiert, wie ihr Feindbild Merz.

Die ganze Empörung, die jetzt auf beiden Seiten hochkocht, ist völlig unnötig, weil ungeeignet, eine sachliche Diskussion in Gang zu setzen. Merz spielte natürlich darauf an, dass manche ethnischen Gruppen aus Afrika, West- und Mittelasien in Sachen Kriminalität statistisch sehr stark überrepräsentiert sind, was der Forensiker Frank Urbaniok plausibel mit kultureller Prägung erklärt, die nicht einfach verschwindet, weil man in einem anderen Land lebt.

Hätte Merz versucht, etwas Sachlichkeit in die Debatte zu bringen, dann hätte er darauf verweisen können, dass auch manche Migrantengruppen in der Kriminalstatistik unterrepräsentiert sind, so zum Beispiel Vietnamesen. Stattdessen wird der öffentliche Diskurs über das Thema von der Rhetorik der Ränder her bestimmt und haben schrille Stimmen die Oberhand gewonnen.

Man muss nicht gegen Migration sein, um über Probleme im Zusammenhang mit ihr sprechen zu wollen, aber dieser Standpunkt geht im allgemeinen Wortgetöse unter, auch wenn Merz unter dem öffentlichen Druck sich jetzt zur Migration bekannt hat. Das kommt zu spät und zu halbherzig und geht ebenso wie die Tatsache unter, dass Antisemitismus unter manchen migrantischen Gruppen überrepräsentiert ist.

Das hat natürlich damit zu tun, dass Bildungssysteme, die religiöse Führung und die Medien der Herkunftsländer von Israel und den Juden das Bild eines universellen Bösen vermitteln. Wer in einem arabischen Land oder in der Türkei aufwächst, bewegt sich in einerm geschlossenen geistigen Universum und wird erlernte Normen und Prägungen nach der Einwanderung in Deutschland selten wie eine tote Haut abstreifen.

Eine andere Gruppe Entrüsteter, die sich gegen Merz’ Äusserung positioniert, sagt von sich ungeniert: «Wir sind die Töchter» und erweckt damit den Anschein, als ob sie ein Mandat hätte, für alle Töchter dieses Landes zu sprechen. Ein Forderungskatalog sollen Frauen im öffentlichen Raum besser schützen, aber die Erfahrung einer jungen deutsche Jüdin wie der Schauspielerin Sarah Maria Sander findet darin keinen Niederschlag.

Sander weist darauf hin, dass sie ihres Engagements für Israel und jüdisches Leben wegen mit Hassbotschaften geflutet wird, deren Absender fast ausschliesslich Namen wie Mustafa, Abdullah oder Ahmed tragen – etwas, das hierzulande sehr ernst genommen werden sollte. Man hätte dann auch diskutieren können, wie es sein kann, dass Migranten die Kriminalitätsrate im ganzen nicht erhöhen, worauf das IFO-Institut für Wirtschaft hinweist.

So wird die öffentliche Debatte alltenhalben von Erregtheit bestimmt, verteidigt man sein politisches Lager und wird der Zusammenhang von Migration und Sicherheit entweder überspitzt oder verharmlost. Und Bundeskanzler Merz? Der weilt gerade in der türkischen Hauptstadt Ankara, wo er den populistischen Autokraten Erdogan hofiert, den er für seine Sicherheits- und Abschiebepolitik braucht.

Erdogan ist Teil einer Elite in der Islamischen Welt, die ihre Bevölkerung gegen Israel aufhetzt, die Region destabilisiert und letztlich das Spiel der Muslimbrüder spielt und damit das der Hamas. Wie die Herrscher von Qatar brilliert auch Erdogan in einer Doppelrolle als Unterstützer der Hamas wie als Vermittler von Frieden in der Region; er ist Brandstifer und vorgeblicher Feuerlöscher in einer Person.

Nicht zuletzt versucht der Populist Erdogan seit langem schon , die türkischstämmige Bevölkerung in Europa vor seinen ideologischen Karren zu spannen, mithin ihre Integration zu sabotieren. Die daraus resultierenden Probleme versucht der Bundeskanzler nun ausgerechnet in der Türkei zu lösen. Das ist dann die Pointe, gewissermassen: Der Populismus bietet sich als Lösung für die von ihm geschaffenen Probleme an.


Literatur

Sloterdijk, Peter. 2024. Der Kontinent ohne Eigenschaften: Lesezeichen im Buch Europa. Berlin: Suhrkamp.

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