Morgen ist der 7. Oktober, seit genau einem Jahr lebt Israel im Ausnahmezustand und kämpft an sieben Fronten gegen Feinde, die es vernichten wollen. Vor allem gegenüber der Hisbollah konnte Israel zeigen, wozu es militärisch in der Lage ist. Das Teheraner Regime ist verunsichert. Aber immer noch werden hundert Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Wie geht es weiter?
Als dreitausend Terroristen der Hamas den Grenzzaun durchbrachen, richteten sie unter den Besuchern eines Musikfestivals und in angrenzenden Siedlungen ein unfassbares Massaker an, töteten wahllos Menschen, verstümmelten, verewaltigten und verbrannten andere bei lebendigem Leib. Auch vor Frauen und Kleinkindern wurde nicht haltgemacht. An die 1200 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt, etwa hundert von ihnen noch vermisst.
Man muss sich das immer wieder vor Augen führen, wenn man sieht, was seitdem in weiten Teilen der Welt passiert ist: Dass nämlich das Opfer, also Israel, allein deshalb zur Zielscheibe des Hasses wird, weil die Israelis nicht gewillt sind, sich abschlachten zu lassen und stattdessen beschlossen haben, die Wurzeln des Terrors, darunter die Hamas, auszureissen.
Aber auch die Jüdinnen und Juden ausserhalb Israels sehen sich einer Welle des Hasses ausgesetzt, der schon vielfach in Gewalt umgeschlagen ist. In Deutschland lebt die jüdische Gemeinschaft in Angst vor Übergriffen und in Sorge, dass der deutsche Rückhalt für jüdisches Leben hierzulande und die Sicherheit Israels nachlassen könnte.
Israel wird gehasst, weil die Israelis sich nicht abschlachten lassen wollen
Wenn Zivilisten in Gaza den Kampfhandlungen zum Opfer fallen, geht dies samt und sonders auf das Konto der Hamas (ausgenommen sind nur Opfer, die auf das etwaige Fehlverhalten israelischer Soldaten zurückgehen), die ihre eigene Bevölkerung der Gefahr des Krieges aussetzen. Israel verdient daher unsere Unterstützung – nicht nur in einem abstrakt moralischen Sinne, sondern auf konkreter politischer und militärischer Ebene.
Nun ist der Kampf gegen die Hamas weitgehend abgeschlossen, obgleich noch immer nicht alle Geiseln befreit sind, da hat es Israel an der libanesischen Front mit einem der gefährlichsten Gegner in der Region zu tun. Durch die Explosion von Pagern und Walkie Talkies, die allein für Mitglieder der Hisbollah bestimmt waren, hat es bewiesen, wie präzise es gegen einen Feind zuschlagen kann, der seinerseits auf Präzision keinen Wert legt und auf israelische Zivilisten keine Rücksicht nimmt.
In diesem Zusammenhang hat Israels Premier Netanjahu zwei starke Botschaften verkündet: Die eine richtete sich gegen die Verleumdungen des jüdischen Staates und war direkt an die UNO gerichtet, das den Verleumdern immer wieder ein mächtiges Forum bot. Die andere richtete sich direkt an die iranische Bevölkerung. Netanjahu sprach davon, dass Iran sehr viel früher frei sein könnte, als die Leute denken.
Das lässt aufhorchen. Plant Netanjahu die Eliminierung Khameneis? Bedenkt man, wie Israel es geschafft hat, Haniyeh in Teheran oder Nasrallah in Beirut auszuschalten, also zwei Ziele, die strengsten Sicherheitsmassnahmen unterlagen, dann scheint das nicht weit hergeholt.
Dabei machte Netanjahu als Premier zunächst eine schwache Figur. Sein Versuch, die Kompetenzen des Obersten Gerichts (Bagatz) zu beschneiden und die Tatsache, dass in seinem Kabinett mit Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir ein rassistischer Irrwisch und mit Finanzminister Bezalel Smotrich ein nach eigener Aussage „faschistischer Homophober“ sitzt, verhiess nichts Gutes. Netanjahu machte den Eindruck, ihm gehe es nur um die Macht, egal mit wem er sich dafür ins Bett legen muss.
Ringen oder Nicht-Ringen um ein Geiselabkommen
Netanjahu hat bis heute keine Verantwortung dafür übernommen, dass unter seiner Herrschaft die Hamas ein solches Massaker wie das vom 7. Oktober überhaupt verüben konnte. Sein Vorgehen in Gaza, wenngleich gerechtfertigt, schien nicht darauf ausgelegt, überhaupt noch ein Abkommen mit der Hamas über die Geiseln zu erzielen, sondern sie mithilfe des Militärs zu befreien. Dabei riskierte er, dass die Hamas die Geiseln irgendwann für nutzlos halten und sie umbringen könnte.
Mittlerweile hat sich Netanjahu aber als starker Führer erwiesen. Mit Verteidigungsminister Yoav Gallant an seiner Seite und der Unterstützung einer Reihe von Staaten, darunter Jordanien, hat er es geschafft, den eisernen Ring des Terrors, von dem Israel umschlossen war, zu sprengen und den Spiess umzudrehen. Israels Feinde sind jetzt klar in der Defensive.
Dabei darf man nicht der islamistischen Propaganda auf den Leim gehen: Als jüngst das libanesische Aussenministerium bekannt machte, dass Hisbollah-Chef Nasrallah kurz vor seiner Tötung einem Waffenstillstand im Rahmen eines Abkommens über die Hamas-Geiseln zugestimmt habe, war das mit Sicherheit nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hatte Nasrallah zuvor öffentlich von der Möglichkeit eines Waffenstillstandes gesprochen.
Aber die Hisbollah wollte als „unterstützende Front“ einen solchen Schritt davon abhängig machen, dass die Hamas zuvor einen Waffenstillstand mit Israel erzielt. Die Hamas jedoch hat seit Mitte August an keinen Verhandlungen mehr teilgenommen. Die Verantwortung dafür schiebt sie auf Israel, das den Stand der Verhandlungen sabotiert haben soll, in dem es neue Bedingungen hinzufügte.
„Dafür sorgen, dass die Palästinenser wütend bleiben“
Israel hingegen spricht von notwendigen Präzisierungen, die vor allem den sog. „Philadelphi-Korridor“ zwischen dem Gazastreifen und Ägypten betreffen und den Israel unter seiner Kontrolle behalten will, obwohl es zuvor zugestimmt hat, seine Streitkräfte nach Osten hin abzuziehen, „weg von dicht besiedelten Gebieten entlang der Grenzen in allen Gebieten des Gazastreifens.“
Allerdings hat auch die Hamas Revisionen vorgenommen, wie die „New York Times“ herausfand, die deren Position als „unnachgiebig“ charakterisiert, auch wenn Enzelheiten unklar bleiben. Auf Seiten der Hamas gehörte Ismail Haniyeh zu den Unterhändlern, bevor Israel ihn in Teheran tötete. Das dürfte vor allem ein Signal an das Teheraner Mullah-Regime gewesen sein, das seit langem schon einen Schattenkrieg gegen Israel führt.
Sowohl das Mullahregime als auch die Hamas oder die Hisbollah denken gar nicht daran, sich zu mässigen. Hamas-Vize Saleh al-Arouri, mittlerweile von Israel in Beirut getötet, gab offen zu, dass es Aufgabe seiner Organisation sei, die Palästinenser zu radikalisieren. Im Interview mit dem Thinktank Chatham House gab er zu Protokoll, die meisten Palästinenser „würden sich sofort mit Frieden zufrieden geben, mit einem Abkommen, das es ihnen ermöglicht, mit ihrem Leben weiterzumachen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie wütend bleiben.“
Die Hisbollah hätte also nur einem Waffenstillstand zugestimmt, wenn die Hamas mitmacht, aber solange die Hamas nicht mitmachen wollte, schoss sie weiter Raketen auf Israel. Weiter und Weiter. Bis Israel nicht länger auf einen Geiseldeal wartete, sondern gegen die Hisbollah zurückschlug. Mittlerweile will die israelische Armee Belege gefunden haben, wonach die Hisbollah ein ähnliches Masser wie das der Hamas am 7. Oktober vorbereitete.
Demnach hätte Israel durch Tunnel aus dem Libanon mit Terroristen von Hisbollahs Radwan-Einheit infiltriert werden sollen. Indem die israelische Armee versucht, die Hisbollah hinter den Litani zurückzudrängen, wird dieser schreckliche Plan nun nicht mehr aufgehen. Der Rückzug hinter den Litani ist auch eine Forderung der UN-Resolution 1701, die nie umgesetzt wurde. Netanjahu verschiebt also die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten und folgt dabei einer Vision.
Zweierlei Vision vom Nahen Osten
Sein Vorbild sind die „Abraham Accords„, also die Normalisierung der Beziehungen mit einer Reihe arabischer Staaten als Grundlage eines Nahen Ostens, der von Anerkennung, Innovation, Arbeitsteilung und Wohlstand geprägt ist. Dem gegenüber steht eine Vision vom Nahen Osten, an deren Umsetzung die Machthaber der Islamischen Republik arbeiten und die für Fanatismus und Unterjochung steht.
Aktuell ist Iran an einem offenen Krieg gegen Israel nicht interessiert. Nicht, weil Präsident Pezeshkian dies behauptet hat, haben doch in der Islamischen Republik allein Khamenei und seine Revolutionsgarden das Sagen. Sondern weil Israel dem Regime dessen Verwundbarkeit vor Augen geführt und dieses zudem mit einer schwachen Wirtschaft zu kämpfen hat.
Gespannt wartet die Welt, wie Israel auf den zweiten direkten Raketenbeschuss der Islamischen Republik reagieren wird. Wie auch immer es danach weitergeht: Wahrscheinlich werden spätere Geschichtsbücher ein zweispältiges Urteil über Netanjahu fällen. Im Moment aber scheint er der Mann der Stunde zu sein, der Israels Überleben sichert und die Islamische Republik in ihre Schranken weist, ihr vielleicht sogar den Untergang bereitet. Das wäre überhaupt das beste Szenario.