Oben israelische Raketen, unten die Babys von Gaza

Der ganz normale Wahnsinn türkischer und arabischer Medien

Wer sich aus türkischen und arabischen Medien ein Bild über den Gazakonflikt zu machen, findet sich in einer Scheinwelt wieder. Über das grausame Gemetzel der Hamas, dem 1.400 Israelis zum Opfer gefallen sind, erfährt man fast nichts. Türkische und arabische Sender machen sich zu willigen Helfern der Hamas.

Was türkische und arabische Medien nicht zeigen

Alles dreht sich um die Babys von Gaza, die aus heiterem Himmel von israelischen Raketen beschossen werden. Der türkische Ministerpräsident befeuert schon seit Jahren den Hass gegen Israel. “Es ist unsere Pflicht, unsere palästinensischen Brüder vor der israelischen Unterdrückung zu retten und die in Gaza vor den Augen der Welt verübten Massaker zu stoppen“, sagte er dieser Tage.

Erdogan pflegt eine Opferrhetorik und beschwört den Zusammenhalt der islamischen Welt. Die Medien sind willige Verkünder dieser Botschaft. Der öffentlich-rechtliche Sender TRT Haber ist ganz vorne mit dabei, zeigr Bilderstrecken von Opfern des Krieges in Gaza, natürlich nur arabische. Wer etwas über die israelischen Opfer den grössten Massakers an Juden seit dem Holocaust finden will, kann lange suchen.

Wer türkische Medien wie TRT Haber konsumiert, ist verloren.

TRT Haber, Yeni Şafak, Aljazeera & Co.: Immer der gleiche Kleister

Derweil verkündet Erdogans Handelsminister Ömer Bolat stolz, dass der türkische Handel mit Israel seit dem 7. Oktober um fünfzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen sei und zwar aufgrund freiwilliger Entscheidung von Händlern und Konsumenten. Soll heissen: Der von der türkischen Regierung angestachelte wirtschaftliche Boykott Israels findet rege Unterstützung in der Bevölkerung.

In der türkischen, AKP-nahen Zeitung Yeni Şafak verlässt man sich ganz auf die Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA und vermeldet lediglich, dass Berichten zufolge bei den Angriffen aus Gaza 1.400* Israelis starben, darunter 306 Soldaten, und 4.834 Israelis verletzt wurden. Gestorben und verletzt! Von “Massakern” (katliam saldırılar) ist zwar auch die Rede, sie begangen zu haben wird jedoch allein Israel unterstellt, bzw. ihrer “Besatzungsarmee” (işgalci İsrail ordusu).

Dass Israel den Gazastreifen 2005 verlassen hat, erfährt die Leserschaft von Yeni Şafak nicht, obwohl noch Jahre später kein geringerer als Hamas-Führer Mahmoud al-Zahar öffentlich verkündet hat, dass der Gazastreifen ein freies Land sei. Aus Sicht der Hamas ist aber immer noch der grösste Teil Palästinas besetzt und nur vor diesem Hintergrund macht die Rede der Yeni Şafak von einer “Besatzungsarmee” Sinn, indem Israel implizit das Existenzrecht abgesprochen wird.

Arabische Medien wie der qatarische Sender Aljazeera sind genauso gestrickt. Dass die Hamas 1400 Israelis abgeschlachtet, verbrannt, verstümmelt hat, wurde offenbar erst eine Woche später vermeldet, zudem ohne Details und entsprechende Bilder. Israelis seien “getötet worden” (qutilat), heisst es dort, daraufhin habe Israel begonnen, Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen zu bombardieren.

Wie getötet? Von wem getötet? Wer den faktenarmen Journalismus von Aljazeera & Co. konsumiert, ist wirklich verloren. Genausogut könnte man sich tütenweise Chips einverleiben, mit Softdrinks hinunterspülen und glauben, sich ausgewogen und gesund zu ernähren. Zwar gibt es auch arabischsprachige Medien, die nicht tendentiös berichten, doch handelt es sich dabei fast durchweg um westliche Auslandssender.

Sucht man im Archiv von Aljzeera nach einer Meldung über 1400 massakrierte Israelis, findet man praktisch nichts. Lediglich ein Beitrag widmet sich der Darstellung der “Al-Aqsa-Flut” in westlichen Medien, wobei der Begriff “Al-Aqsa-Flut“, der von der Hamas selbst stammt, unkritisch und ohne Anführungszeichen übernommen wird. In dem Beitrag wird lediglich in Zitaten die israelische Sicht und auch nur sehr verkürzt wiedergegeben.

Die Absicht liegt darin, dem Westen Heuchelei nachzuweisen. So wird anhand eines einzigen Tweets der BBC vorgeworfen, das Verb “getötet werden” (qutilū) für die israelischen Opfer zu reservieren, während palästinensische Opfer nur “sterben” (mātū) – für Aljazeera der Beweis für eine westliche “Doppelmoral”. Von einem Massaker an Israelis ist nirgendwo im Beitrag die Rede, nur von ihrer “Tötung, Verwundung und Gefangenschaft” (maqtal wa-ǧurḥ wa-usar).

In sozialen Medien tobt die arabische Hasspropaganda …
… und tobt und tobt …
… und tobt …

Unterschiedliche Wahrnehmungswelten dank unterschiedlicher Hashtags

Bei soviel Einseitigkeit und Unterdrückung zentraler Fakten braucht man sich nicht zu wundern, wenn die sozialen Plattformen von einer Flut türkischer und arabischer Hetze überschwemmt werden. Die Konsumenten dieser Hetze bekommen von den Dokumenten der anderen Seite, die die Grausamkeit der Hamas bezeugen, nichts mit, obwohl jene auf denselben Plattformen geteilt werden.

Das hängt damit zusammen, dass die Unterstützer Israels andere Hashtags verwenden als die Freunde der Hamas. Man konsumiert Inhalte auf denselben Plattformen und lebt dennoch in unter-schiedlichen Wahrnehmungswelten, die einander nicht einmal berühren. Wer gegen Israel ist, wird darum mit immer dem gleichen faktenarmen Kleister gefüttert: Oben israelische Raketen, unten arabische Babys.

Es sind Bilder aus einer postfaktischen Gegenwartsdystopie. Eine Karikatur zeigt Gaza als geschlossenes, israelisch kontrolliertes Gefängnis, das von oben mit Raketen bombardiert wird. Von israelischen Raketen, natürlich. Das ganze ist nicht nur unlogisch (warum sollte Israel sein eigenes Gefängnis beschiessen?), es hält auch dem einfachsten Faktencheck nicht stand.

Tatsächlich kontrolliert Israel nur einen Teil der Grenze zum Gazastreifen, auf den an Ägypten grenzenden Teil der Grenze hat es gar keinen Einfluss. Auch hat Israel seine eigene Grenze nie abgeriegelt, sondern Arbeitsmigration, Güterverkehr und Kranken-transfer zugelassen. Die Hamas hat dabei sogar kooperiert – allerdings nur, wie wir heute wissen, um Israel glauben zu machen, sie suche nicht länger die Konfrontation.

All das ist keiner Erwähnung wert.

Die Karikatur ist vollkommen faktenfrei, sie ist eine antisemitische Projektion, aber gerade deswegen populär. Wer dieser Propaganda Glauben schenkt, für den besteht die israelische Seite nur aus blutrünstigen Soldaten, die palästinensische Seite hingegen nur aus Babys und ihren Müttern. Es ist eine Apologie der Ideologie der Hamas und damit des Terrorismus.

Zugleich macht diese Art von Propaganda deutlich, was sie unter “Palästina” versteht, für das sie sich Freiheit wünscht, nämlich das ganze Land vom Jordan bis zum Mittelmeer. Entsprechende Abbildungen und Verlautbarungen lassen keinen Zweifel, dass nach diesem Verständnis kein Platz für einen jüdischen Staat im Nahen Osten sein soll. Es geht nicht um Frieden, nicht um Wohlstand, nicht um Gleichberechtigung. Es geht um Auslöschung.

Antisemitismus in der Türkei und die Pogrome von 1934

Der Erfolg dieser Propaganda, der ein Erfolg für die Hamas ist, wäre nicht möglich, wenn nicht der Antisemitismus schon vorher vorhanden wäre. Islamische Länder haben in dieser Hinsicht ein ziemliches Problem, wenngleich nicht alles schwarz-weiss ist. Im mehrheitlich christlichen Griechenland z.B. ist Antisemitismus weiter verbreitet als in manchen muslimischen Ländern wie Bangladesch oder Bosnien-Herzegowina.

Die Türkei aber hat in dieser Hinsicht eine dunkle Geschichte vorzuweisen und denkt nicht daran, sie aufzuarbeiten. Während in Deutschland allerorten Gedenkveranstaltungen anlässlich der Novemberprogrome von 1938 abgehalten werden, will man sich in der Türkei nur ungern daran erinnern, wie 1934 in Thrakien jüdische Geschäfte geplündert und Frauen vergewaltigt wurden. Der Pogrom in Thrakien wäre ohne den Rückhalt im türkischen Staat nicht möglich gewesen, wie die Türkeiforscherin Berna Pekesen gezeigt hat.

Die Misshandlungen und Plünderungen wurden erst auf Geheiss von Ministerpräsident Inönü gestoppt. Doch bis heute spricht man statt von Pogrom nur von “Ereignissen” (olaylar). Aktuelle Meldungen auf Türkisch über dieses dunkle Kapitel des eigenen Landes findet man kaum welche, eine Ausnahme bildet die Zeitung Hürriyet. Schon in den dreissiger Jahren verbreitete sich das Gerücht über die türkischen Juden, dass sie sich mit Schmiergeldern dem Wehrdienst entzögen, um in Palästina für ihren eigenen Staat zu kämpfen.

Damals traten auch die sogenannten Anatolianisten auf den Plan, die die islamische Religion mit einem aggressiven Nationalismus und Antisemitismus verbanden. Ihnen galten die Juden als Feinde der Menschheit. Nurettin Topçu, einer der Vordenker des Anatolianismus, begeisterte sich für das Führerprinzip und war noch Jahrzehnte nach dem Ende des Naziregimes ein Bewunderer Hitlers. All das ist nie aufgearbeitet, stattdessen ein religiös gewirkter Nationalismus Mainstream geworden.

Damit liegt die Türkei im Einklang mit den meisten arabischen Ländern, in denen eine ähnliche Stimmung vorherrscht. Der Boykott von Firmen vor allem aus den USA, die im Verdacht stehen, Israel zu finanzieren, greift um sich. Manche mittelständischen arabischen Geschäfte integrieren sogar die Umrisse Palästinas in ihr Logo. Die Botschaft: Es gibt keinen Platz für einen jüdischen Staat. Nirgendwo ist von Nachbarschaft oder Koexistenz die Rede, nirgendwo findet sich ein Statement gegen die Hamas.

Die Ideologie der Terroristen wird einfach hingenommen, Fakten interessieren nicht, Kontext interessiert nicht, Verbrechen der Hamas interessieren nicht, Israels Hilfslieferungen interessieren nicht, Israels für Araber geleistete medizinische Hilfe interessiert nicht, Israelis humanitäre Lieferungen in den Gazastreifen interessieren nicht. Auf den sozialen Plattformen und in den Medien ist die Herangehensweise an die Thematik durchgängig die folgende:

Sie ist rein emotional, stellt die Kinder von Gaza als Opfer gezielter israelischer Aggression dar.

Sie verschweigt die Gräueltaten der Hamas.

Sie geht davon aus, dass Israel keinen Platz im Nahen Osten hat.

Medien in der Migrationsgesellschaft

Wenig überrschend ist daher, dass Muslime in Europa tendentiell häufiger antisemitische Topoi vertreten als der Durchschnitt der Gesellschaft. Für Deutschland bestätigt dies eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Studien über die Mediennutzung von Migranten sind jedoch rar und einige Jahre alt. Immerhin lässt sich sagen, dass das Misstrauen von Migranten gegenüber deutschen Medien sehr hoch ist und zwischen 40 und 50 Prozent liegt (Studie von 2020).

Das Misstrauen ist tendentiell umso grösser, je mehr auf Medien der Herkunftsländer zurückgegriffen wird. Unter Migranten sind es gerade die Türkischstämmigen, die überdurchschnittlich häufig zu muttersprachlichen Medien greifen (Studie von 2010). Viele vertrauen türkischen und arabischen Medien mehr, weil diese in der Region wurzeln und scheinbar türkische und arabische Interessen artikulieren (in Wirklichkeit nur diejenigen der Machthaber).

Was kann man tun?

Manch einer möchte antiisraelische Ausschreitungen und Parolen, wie wir sie in vielen Städten Deutschlands gesehen haben, mit höheren Strafen bekämpfen, was populistischer Unsinn ist, der nicht viel bringen wird. Da augenscheinlich viele dieser Demonstranten einen Migrationshintergrund haben, ist auch der Ruf nach mehr Abschiebungen laut geworden. Dies dürfte aber schon deswegen schwer möglich sein, weil die meisten Anhänger von Hamas und Hisbollah hierzulande schon längst die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

In der Schule frühzeitig antiisraelischem Hass entgegenzuwirken, ist ein grundsätzlich besserer Ansatz, der jedoch auf Lehramtsanwärter abschreckend wirken dürfte. Denn das Thema Israel ist einfach zu heiss, in Berlin ist es deswegen schon zu einer Prügelei zwischen einem Schüler und einem Lehrer gekommen. Vor allem aber haben wir in Deutschland keinen Einfluss auf den Medienkonsum, wollen wir nicht zum Überwachungs- und Zensurstaat mutieren. Arabische und türkische Hetzmedien finden mühelos den Weg auf jeden Rechner und jedes Smartphone.

Am Israelhass auf deutschen und europäischen Strassen zeigt sich die Ohnmacht der Politik und die Macht ausländischer Medien im Zeitalter der Globalisierung. Wir werden dauerhaft vor allem jüdische Einrichtungen besser schützen müssen.


* Die Zahl wurde mittlerweile von den israelischen Behörden auf 1200 herunterkorrigiert.

Literatur

Karaömerlioğlu, M. Asım. 2010. “The Role of Religion and Geography in Turkish Nationalism: The Case of Nurettin Topçu”, in: Spatial Conceptions of the Nation: Modernizing Geographies in Greece and Turkey, ed. by P. Nikiforos Diamandouros, Thalia Dragonas und Çağlar Keyder. London und New York: Taylor and Francis, S. 93-109.

Pekesen, Berna. 2012. Nationalismus, Türkisierung und das Ende der jüdischen Gemeinden in Thrakien, 1918-1942. München: De Gruyter Oldenbourg.


Nachtrag 12. November 2023

In einem Gastbeitrag für die “Jerusalem Post” schreibt der Nahostwissenschaftler Elie Podeh von der Hebräischen Universität: “Most of the media in the Arab world is hostile toward Israel. A slew of condemnations, some with undeniably antisemitic overtones, have been flooding the print, electronic, and social media since October 7.” Podeh weist jedoch darauf hin, dass es auch eine Reihe von arabischen Medien gibt, die einen moderateren Ton anschlagen oder die Hamas sogar offen kritisieren. Das gilt vor allem für Medien solcher Länder, die sich in den vergangenen Jahren Israel politisch angenähert haben.

Nachtrag 21. Januar 2024

Dieses Interview zu lesen ist ein Muss! Gegenüber der “Jüdischen Allgemeinen” schildert Dalia Ziada vom Liberal Democracy Institute in Kairo, wie die Menschen in der arabischen Ländern von den Medien systematisch belogen werden: “In Ägypten und überhaupt in den arabischen Medien wurde der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober völlig verharmlost. Sie stellen das Massaker an 1200 israelischen Zivilisten bloß als einen weiteren »Zusammenstoß« zwischen israelischen Soldaten und Hamas-Kämpfern dar. Auch ich glaubte zuerst an diese Erzählung.” Erst auf einer Videokonferenz, die das israelische Verteidigungsministerium extra für arabische Journalisten ausgerichtet hatte, sah sie die Aufnahmen der von der Hamas begangenen Greueltaten und wurde ihr klar, wie die arabischen Medien die Massen manipulieren.

Nachtrag 5. Februar 2024

Auch die “Tagesschau” (ARD ) hat das Thema für sich entdeckt und festgestellt, dass bei Al Jazeera die “Grenze zwischen Nachrichtenberichterstattung und Propaganda […] fliessend” ist. Ebenso übernehme der türkische öffentlich-rechtliche Sender TRT “immer wieder pro-palästinensische oder antiisraelische Narrative – und verbreitet dabei manchmal auch Falschmeldungen“, heisst es in dem Beitrag.

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