Jeder Text hat eine Intention und wer seine Intention nicht erkennen will, der sucht den Skandal, an deren vorläufigem Ende die Depublikation steht, also das Löschen des Textes, in den schlimmeren Fällen gar das Ende der Karriere.
Der Schriftsteller Maxim Biller schreibt für die Wochenzeitung „Die Zeit“ eine Kolumne und wer Biller kennt, weiss, dass dieser voll und ganz auf Seiten Israels steht – nicht unbedingt auf Seiten der israelischen Politik, aber auf Seiten des Staates, wann immer dieser von Judenmördern in seiner Existenz bedroht wird.
Im aktuellen Beitrag seiner Kolumne entzündete sich die Kritik an einer Aussage zu Beginn und einer am Ende des Textes, wo einmal von der „strategisch richtigen, aber unmenschlichen Hungerblockade von Gaza“ die Rede ist, bzw. davon, dass ein israelischer Soldat, der nach vierzig Tagen im Gazastreifen „keine Lust mehr [hat], auf Araber zu schiessen„; es aber dennoch tun sollte. Im Wortlaut:
„Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß.„
bzw.
„Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: „Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?“ „Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten“, sagt der Arzt, „aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.“„
Der ganze Text der Kolumne trieft vor Sarkasmus, er ist nur so dahingerotzt von einem, der von der Scheinmoral eines grossen Teils der deutschen Gesellschaft die Nase voll hat. Denn Israel steckt in einem Dilemma: Gegen Terroristen, die nichts weniger als die Auslöschung Israels wollen, kann man nur mir Waffengewalt vorgehen – was die Gefahr der Verrohung birgt.
Natürlich schiesst Israel nicht auf Araber im Gazastreifen, sondern auf arabische Terroristen. Doch, und das ist die Intention des Textes, da diese sich unter die Zivilbevölkerung mischen und nicht immer als Kämpfer erkennbar sind, stellt es sich für den einzelnen israelischen Soldaten im Einsatz so dar, wie Biller es formuliert.
Was militärisch geboten ist, ist manchmal mit hohem Blutzoll verbunden. Israel kann das kaum vermeiden, ist es doch gezwungen Krieg zu führen. Anderenfalls müsste es damit rechnen, dass seine Feinde diese Entscheidung als Schwäche deuten und sich nur zu noch monströseren Mordtaten ermutigt fühlen.
Auch bei der nicht stattgefundenen Hungerblockade geht es Biller um das moralische Dilemma, in dem sich die israelische Armee befindet: Das, was die Hamas wirklich in die Knie zwingen würde, nämlich ein Aushungern des Gazastreifens, ist unmenschlich und kommt nicht infrage, doch denkt der Feind nicht daran, von unmenschlichen Praktiken abzulassen.
Wenn man weit weg vom Geschehen irgendwo in Deutschland oder anderswo in Europa lebt, dann lassen sich leicht runde Tische, Dialog und Diplomatie fordern. Aber gerade im Nahen Osten funktioniert das nicht oder erst, wenn Israel sich nach gewonnener Schlacht in einer Position der Stärke befindet. Zu gross ist der Eifer der Judenhasser, den Staat Israel zu vernichten und, wenn dieser sich wehrt, noch mehr zu hassen als zuvor.
Lektion aus den 1980ern
In den 80er Jahren hat Maxim Biller für die Zeitschrift „Tempo“ von einer Gruppenreise nach Auschwitz berichtet („Auschwitz sehen und sterben“), in der er das ganze Ausmass der Hölle beschreibt, von der Selektionsrampe über die Wachtürme, den Stacheldraht, den Seziertisch und die Gaskammern bis hin zu langen Batterie von Verbrennungsöfen und dem Aschesee, in dem die Asche der Toten versenkt wurde.
Biller berichete, wie am Schluss der Gruppenreise französische Juden in Warschau auf offener Strasse verprügelt und ihr eigener Bus in der Nacht demoliert wurde. Was war geschehen? Israel hatte kurz zuvor den PLO-Terroristen Khalid al-Wazir, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Jihad, getötet, einem Massenmörder, der das Leben Dutzender Juden auf dem Gewissen hat.
Wenn Juden gegen ihre Mörder Widerstand leisten, werden sie umso mehr gehasst und diese Geschichte wiederholt sich bis auf den heutigen Tag. Das zu zeigen ist die Intention von Billers jüngstem Kolumnentext, aber wer den Autor unbedingt missverstehen will, kann es sich so leicht machen wie der Schriftsteller Behzad Khani, der Billers Kolumne als Symptom einer in der Gesellschaft weit vorangeschrittenen „Entmenschlichung der Palästinenser“ deutet.
Das ist frei erfunden und ohne faktische Grundlage im Text. Überhaupt sollte, wer ein Herz für die Menschen im Gazastreifen hat, das Ende der Hamas fordern oder zumindest, dass die Hamas ihre letzten Geiseln endlich freilässt. Dann würde auch der Krieg enden und spätestens jetzt wird klar, dass Khani genau die Art Deutscher ist, gegen den sich der Zorn Billers richtet.