Griechischer linker Ultranationalismus

Im Westen wundern sich wieder einige, wie es möglich sein kann, dass eine ultralinke mit einer rechtskonservativen Partei koaliert – als ob man nichtwestliche Länder mit den Wertvorstellungen des Westens begreifen könnte! Dabei ist Griechenland nicht nur kein Teil des Westens, sondern ein ausgesprochen anti-westliches Land, auch wenn es geographisch in Europa liegen und Mitglied von EU und NATO sein mag. ((Vasilios N. Makrides urteilt über Griechenland: „Its political and economical elites are pro-Western, but its history, culture, religion and tradition are essentially non-Western.” Aus: Encyclopedia of Greece and the Hellenic tradition / Ed. Graham Speake (2000), Lemma “Anti-westernism”.))

Die Forscher Vasilios N. Makrides und Dirk Uffelmann wiesen schon 2003 darauf hin, dass im gesamten orthodoxen Osten und Südosten Europas eine weitverbreitete anti-westliche Einstellung zu beobachten ist, die das Denken und Handeln der Menschen massgeblich mitbestimmt ((„The forms of anti-Western attitudes can be observed at the level of statements and expressions as well as at the level of behaviour and actions.“ Vasilios N. Makrides und Dirk Uffelmann, „Studying Eastern Orthodox Anti-Westernism: The Need for a Comparative Research Agenda“, in: Jonathan Sutton / Wil van den Bercken (eds.), Orthodox Christianity and Contemporary Europe (Eastern Christian Studies, vol. 3), Leuven 2003, S. 87-120, online.)), während der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama als einer der wenigen westlichen Analysten erkannt hat, dass Griechenland von seiner politischen Kultur her eher mit dem Nahen Osten und Afrika vergleichbar ist als mit westlichen Ländern. ((Francis Fukuyama, Political Order and Political Decay: From the French Revolution to the Present, London 2014, S. 99.)) All die Subventionen und Vergünstigungen, die bislang aus Brüssel kamen, haben keine Chance, von griechischer Seite gewürdigt zu werden, weil die Wagenburgmentalität des von jahrzehntelangem Klientelismus gebeutelten Landes dazu viel zu stark in den Köpfen verankert ist.

Natürlich denken nicht alle Griechen so, aber sicherlich eine Mehrheit. Während der politische Mainstream Deutschlands links-liberal geprägt ist, entspricht derjenige Griechenlands eher einem linken Ultranationalismus: Man ist gegen den westlichen Liberalismus und das westliche Fortschrittsdenken, während man einem kulturellen Suprematismus huldigt und ganz selbstverständlich für alles, was in Griechenland falsch läuft, ausländische Mächte verantwortlich macht. Wie auch in arabischen Ländern ist es in Griechenland gang und gäbe, die eigenen Politiker weniger wegen ihrer vermeintlichen Inkompetenz zu verachten als vielmehr dafür, insgeheim Vertreter ausländischer Interessen zu sein.

Die Gegnerschaft zum Westen ist daher der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die griechische Gesellschaft – und mit ihr die Politik – verständigen kann. Erst so wird verständlich, warum die ultralinke SYRIZA mit der Anti-Immigranten-Partei ANEL („Unabhängige Griechen“) eine Koalition eingeht. Deren Politik mag schon in naher Zukunft an den Realitäten scheitern, in Griechenland wird dies aber nur als Bestätigung der eigenen Meinung aufgefasst werden: Dass nämlich eine riesige Verschwörung gegen diese kleine Land am Mittelmeer im Gange sei und die Griechen als „anádelfos laós“ (bruderloses Volk) einmal mehr ganz auf sich allein gestellt seien.

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