Politischer Islam (2)

„Das ‚prophetische Nein‘ ist exklusiv (…) und was immer dieser absoluten Wahrheit entgegensteht, ist gefährlich, verboten, sündig und muß, wie der Muslim sagen würde, ‚mit dem Schwert des lāʾ‘ abgeschnitten werden.“ (Annemarie Schimmel, 1995)

Politischer Islam ist ein unscharfer Begriff. Wenn wir einmal annehmen, dass damit der Islamismus gemeint ist, dann lässt er sich definieren als die Idee, dass Islam und das islamische Recht eine zentrale Rolle im politischen Leben spielen sollen. Damit ist er gegen eine Trennung von Religion und Staat gerichtet und macht, wie es der amerikanische Fachmann Shadi Hamid (2016) formuliert, den Islam „zu einer politischen Theologie der Authentizität und des Widerstandes gegenüber dem Konglomerat aus Säkularismus, Kolonialismus und Authoritarismus.“

Diese Idee ist mit den Prinzipien einer liberalen Demokratie nicht vereinbar, was keineswegs eine neue Erkenntnis ist. Aber manche Zeitgenossen möchten die Debatte wieder bei Null beginnen lassen und den politischen Islam gesellschaftsfähig machen, indem sie bewusst offen halten, was unter diesem Begriff zu verstehen ist. Wenn nämlich ganz unterschiedliche Vorstellungen darunter zu fassen sind, dann auch die Demokratie und folglich, so die Argumentation, könne der politische Islam auch eine Chance bedeuten, Muslime für jene zu begeistern.

Auch der als „Newcomer des Jahres 2019“ mit dem Goldenen Blogger ausgezeichnete Nicht-Blogger und twitternde CDU-Rentner Ruprecht Polenz, schlägt in diese Kerbe. „Politischer Islam“ könne doch alles mögliche heissen, so Polenz, und beruft sich auf die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, derzufolge es auch „eine aus dem Glauben gewonnene Motivation“ einschliesse, sich in der Politik zu engagieren.

Das Lieblingsargument für diese Auffassung ist der Verweis auf Tunesien. So glaubt der Historiker Wolfgang Benz in seinem Buch „Die Feinde aus dem Morgenland“ (2012), es sei „falsch, politische Probleme auf die Religion (und deren Missbrauch) zu reduzieren. Der Westen wird sich mit dem politischen Islam arrangieren müssen, wenn er, wie in Tunesien durch einwandfreie Wahl legitimiert, als bestimmende Kraft auftritt.“

Das ist schon deshalb unzutreffend, weil, wie der bereits erwähnte Shadi Hamid (2016) ausgeführt hat, tunesische Islamisten von der Ennahda-Partei ihren Islamismus nur deshalb zurückstellen, um den Zusammenbruch der Demokratie zu verhindern. Shadi, der mit Mitgliedern der Ennahda persönliche Gespräche geführt hat, weiss von einem Hardliner der Ennahda zu berichten, demzufolge alle in der Partei an die Scharia glaubten wie auch daran, eines Tages den Alkohol zu verbieten. Meinungsverschiedenheiten habe es nur darüber gegeben, wie islamische Idee am besten präsentiert werden könne.

Der politische Islam bzw. der Islamismus ist daher ein Wolf im Schafspelz und gutgläubige westliche Intellektuelle dessen leichte Beute. Auch die andere Annahme von Benz et al., politische Probleme in den muslimischen Ländern hätten wenig oder nichts mit der Religion zu tun, vermag nicht zu überzeugen. Wie sonst wäre es möglich, dass Islamisten bei freien Wahlen Mehrheiten zu erringen imstande sind?

Schon das traditionelle Verständnis vom Islam als einer Lebensweise, die nahezu alle Aspekte der Gesellschaft umfasst, steht der Idee der liberalen Demokratie, die von eigenverantwortlichen Individuen getragen wird, entgegen, umso mehr eine politisierte Variante, die entsprechende Vorstellungen mit staatlicher Macht auskleiden will.

Deshalb kann auch die These von Rainer Herrmann in der FAZ nicht überzeugen, der Begriff „politischer Islam“ weiche die Trennung zwischen Islam als Religion und Islamismus als politischer Ideologie auf.

In Wahrheit sind beide Phänomene durch eine Schnittmenge miteinander verbunden. So hat eine Studie des norwegischen Terrorismusforschers Thomas Hegghammer (2017) ergeben, dass Dschihadisten mit Ausnahme der sog. Märtyrerhochzeit keine eigenen Rituale erfinden mussten, sondern auf vorhandene sunnitische Rituale für ihre Zwecke zurückgreifen konnten.

Der orthodoxe sunnitische Mehrheitsislam enthält viele Elemente dessen, was wir als Islamismus bezeichnen. Wer das nicht glaubt, werfe einen Blick in die islamische Geschichte, die genügend Beispiele für Hinrichtungen bietet, die dem Vorwurf der Apostasie folgten. Warum wohl berief sich die Terrortruppe des „Islamischen Staates“ gerade auf die Abbasiden-Dynastie als Vorbild?

Erst wenn man versteht, dass z.B. der aus 1001 Nacht bekannte Abbasiden-Kalif Hārūn ar-Raschīd nicht nur ein Freund der schönen Künste war, sondern auch die iranische Familie der Barmakiden niedermetzeln und ihre Köpfe abschneiden und zur öffentlichen Schau aufspiessen liess, nachdem sie ihm zu mächtig geworden waren, erkennt man den Zusammenhang.

Die Untaten im Namen des Islam waren zwar nicht brutaler gewesen als diejenigen im Namen des Christentum, weswegen es keinen Grund gibt, den Islam zu dämonisieren. Aber wem angesichts der Grausamkeiten durch zeitgenössische Islamisten nichts besseres einfällt als von einer missbrauchten Religion zu reden, macht es sich etwas zu einfach, und wer in der Absicht, Muslime an die Demokratie zu binden, einem nicht näher definierten „politischen Islam“ das Wort redet, handelt fahrlässig.

Die Gesellschaft braucht vielmehr einen sachlich-kritischen Diskurs über den Islam, der frei von Angst geführt wird.

(Hier geht es zu Teil 1.)

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