Jede Menge Filmzitate in Atomic Blonde: Eine mal platinblonde, mal brünette Geheimagentin mit meisterlicher Beherrschung der Nahkampftechnik und einer gekonnten Art, das Whiskyglas zu leeren – das erinnert an The Long Kiss Goodnight (dt. Tödliche Weihnachten), wo Geena Davis jedoch um einige Zacken cooler wirkt als Charlize Theron.
Auch der Partner und Gegenspieler von Theron alias Lorraine Broughton, dargestellt von James McAvoy, mutet wie ein spätes Echo von Craig Berko an, der eine ähnlich ambivalente Figur im Davis-Film spielt. Schade, dass man Theron nicht noch einen oberlässigen Typen wie Samuel L. Jackson als catalyst dauerhaft zur Seite gestellt hat.
Die Sprungszene aus dem Fenster hat man auch schon gesehen, und zwar im James Bond-Film Die Welt ist nicht genug, wo der Held auf dieselbe Weise einem Büro im spanischen Bilbao entkommt. Ebenfalls bekannt kommt einem die Szene mit den Regenschirmen vor. Richtig, das hatten wir schon einmal in Steven Spielbergs Minority Report.
Dann sind da noch die Russen und der ganze Hardrock-Untergrund von Berlin. Woran erinnert einen das nur? Ach ja, das war in xXx –Triple X. Dank der Filmmusik, die eine Hommage an die 80er bildet und einige Einstellungen komplett beherrscht, fühlt man sich zuweilen wie in einem Film von Quentin Tarantino.
Die Musik, mit der man so kräftig beschallt wird, kommt u.a. von Depeche Mode und David Bowie, aber auch viele deutsche Titel sind darunter, u.a. von Peter Schilling, Falco (!) und Nena, wie überhaupt recht viel Deutsch in dem Film gesprochen wird. Soll ja alles möglichst authentisch klingen, obgleich fast immer mit leichtem Akzent gesprochen wird.
Und dann die Kampfszenen. Welcher Barbar geht schon wegen irgendwelcher Kampfszenen ins Kino? Auch wenn jene nicht die Klasse von Kill Bill oder The Transporter haben, muss man sagen: Sie gehen unter die Haut, auch schon wegen der Soundeffekte. Charlize Theron soll sich bei den Dreharbeiten zwei Zähne ausgeschlagen haben. Sieht man die Szenen, glaubt man ihr das sofort.
Die Personen wirken freilich recht klischeehaft und lassen Tiefe vermissen. Dass es sich um einen Actionstreifen handelt, ist keine Entschuldigung. Hatte Geena Davis es noch mit knorrigen Charakteren zu tun, verlangt Atomic Blonde seinen Nebendarstellern eher wenig ab. Weder John Goodman noch Til Schweiger finden hier Gelegenheit zu brillieren (allenfalls Toby Jones).
Der Film hat Schwächen, ohne Zweifel. Was ihn dennoch sehenswert und interessant macht, sind die Geschichte, die Atmosphäre und die Kampfszenen, also die Frauenpower. Die Geschichte spielt am Vorabend des Mauerfalls in Berlin, es geht um Geheimagenten, jeder spielt ein doppeltes Spiel und alle jagen nach einer Liste mit Geheiminformationen, dem klassischen MacGuffin des Agentengenres.
Daher auch der Name des Films: Die Liste ist so brisant, dass sie einer „atomic bomb“ gleichkommt. Da braucht es schon eine Agentin von besonderem Format, sich gegen all die Schurken zur Wehr zu setzen, die hinter der Liste her sind – eine „Atomic Blonde“. Lorraine, unsere wasserstoffperoxidblonde Superagentin (sie arbeitet für den MI6, aber ist das wichtig?), hat ihre Verbündeten, aber niemand weiss, ob sie ihnen trauen kann.
Die Geschichte pendelt zwischen der grauen Welt sozialistischer Ödnis, der bunten Welt des freien Westens, zwischen der Stille des Verhörzimmers und der Raserei der Gewalt, zwischen Demonstranten oben (Osten) und der Hardrockszene unten (Westen). Im Labyrinth der Interessen traut keiner dem anderen, selbst der MI6 seiner eigenen Agentin nicht („she plays by her own rules“).
Irgendwo in diesem Labyrinth läuft ein kleiner Mann unter dem Decknamen „Spyglass“ um sein Leben. Er ist wertvoll für die einen und ein Verräter für die anderen und wie Lorraine versucht, ihn aus der Gefahrenzone zu schaffen („I never lose a package“), muss man einfach gesehen haben. Es ist einer der Höhepunkte dieser Geschichte.
Das ganze hat nicht die Leichtigkeit ähnlicher Genrefilme wie Codename U.N.C.L.E. oder Kingsman. Aber er hat Stil, spielt mit Elementen des Film Noir und ist hübsch pulpig. Wohl noch nie zuvor sind die späten Achtziger mit solch atmosphärischer Dichte umgesetzt worden wie sonst nur die Vierziger in Agentenfilmen wie Agent Carter, auch dieser eine Comicverfilmung.
„I fucking love Berlin“, sagt einer, der es wissen muss, bevor er niedergeknallt wird. So ist auch der ganze Film: Er will eine liebevolle Hommage an so vieles sein und mehr als einmal, wenn er sich beinahe zur Grösse seiner filmischen Vorläufer erhebt, kommt er ins Straucheln. Doch selbst wenn er noch am Boden liegt, macht er eine gute Figur.
(Grafik: Michael Kreutz)