Warum akademische Boykotte unethisch sind

Vor einigen Monaten erschien ein als «Offener Brief der Wissenschaft» betitelter Aufruf zum Boykott israelischer Hochschulen, dem zahlreiche ähnliche Aufrufe an westlichen Universitäten vorausgegangen oder gefolgt sind. Doch die Unterzeichnenden wissen nicht, dass sie sich als Wissenschaftler damit nur selbst disqualifizieren. Dabei ist unerheblich, ob die darin gegen Israel gerichteten Vorwürfe zutreffen oder nicht.

«Civil War (ca. 1870–1871) print«/ CC0 1.0

Zunächst einmal krankt die Rechtfertigung für einen Boykott israelischer akademischer Institutionen an der Falschbehauptung, dass sich unter Genozidforschern «die fachliche Einschätzung durchgesetzt» habe, wonach Israel einen Völkermord begehe. Dies suggeriert eine Einstimmigkeit, die tatsächlich nicht existiert und noch nicht einmal plausibel ist, weil Israel tagtäglich humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen schickt, was ganz wesentlich der völkerrechtlichen Definition von Völkermord widerspricht, die «Absicht» zur Voraussetzung erklärt.

Denn wenn Israel die Absicht hätte, die Palästinenser zu vernichten, warum sollte es dann Hilfsliferungen senden, mit Flugblättern Zivilisten vor einem Bombardement warnen oder Fluchtkorridore einrichten? Warum sollte es nicht dann auch die Palästinenser in Israel selbst oder im Westjordanland (Judäa und Samaria) vernichten wollen? All das ergibt keinen Sinn und wenn die Boykotteure meinen, einen angeblichen wissenschaftlichen Konsens ins Feld führen zu können, dann sei ihnen gesagt, dass Fakten keine Frage der Abstimmung sind.

Wissenschatliches Ethos trennt Forschung von der Person

Daher haben die Unterzeichnenden auch kein Mandat, im Namen der Wissenschaft zu sprechen. Zudem sind sich die Boykotteure nicht darüber im Klaren, dass man nicht einfach alle Toten im Gazastreifen Israel zurechnen kann. Denn wenn die Hamas zivile Gebäude wie Wohn- oder Krankenhäuser zu militärischen (richtiger: terroristischen) Zwecken nutzt, dann besagt das Völkerrecht ganz eindeutig, dass zivile Objekte ihren völkerrechtlichen Schutz verlieren, sobald sie von einer Kriegspartei zu militärischen Zwecken missbraucht werden.

Auch Zivilpersonen stehen nur insoweit unter dem Schutz des humanitären Völkerrechts, als sie nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Anderenfalls verlieren auch sie ihren Schutz als Zivilperson und werden für den Gegner zulässige militärische Ziele. Dass zivile Gebäude für militärische (terroristische) Zwecke missbraucht wurden und Kämpfer (Terroristen) der Hamas in Zivilkleidung agierten, dürfte massenhaft im Gazastreifen der Fall gewesen sein. Folglich geht das weit überwiegende Mass an Tod und Zerstörung im Gazastreifen nicht auf das Konto Israels, sondern das der Hamas.

Auf Vorwürfe wie «Apartheid», «rassistische Segregation» und «Besatzungsregime» brauchen wir hier nicht weiter einzugehen; sie zeigen immerhin die Enthemmung von Teilen der akademischen Elite, sobald es um Israel geht, das mit dem Rückzug aus besetzten Gebieten (Gazastreifen, Südlibanon, Teile der Westbank) vor allem die Erfahrung gemacht hat, dass er vom Feind als Schwäche wahrgenommen wird und damit als Ermutigung, nun erst recht gegen den jüdischen Staat vorzugehen.

Doch gesetzt den Fall, all diese Behauptungen wären richtig, dass also Israel einen Genozid begehe und die Hamas, wie im «Brief der Wissenschaft» und anderen Boykottaufrufen geschehen, keiner Erwähnung wert ist, so gibt es ein ganz grundsätzliches Problem mit einem Boykott, ungeachtet der konkreten Umstände, unter denen er gefordert wird und auf die er sich bezieht. Denn ein Boykott von Wissenschaft durch Wissenschaftler ist per se unethisch, weil er zu Lasten ebenjener Wissenschaft geht, in deren Namen die Boykotteure zu sprechen vorgeben.

Boykotte schaden ihrer eigenen Forschung

Das Wissen, das die Menschheit über Jahrtausende angehäuft hat, ist gewaltig und allein die empirisch gesicherten, den Kriterien der Wissenschaft genügenden Erkenntnisse sind so umfangreich, dass Forschende gezwungen sind, sich auf Teilgebiete von Teilgebieten zu spezialisieren. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Forschende sind gezwungen, beständig den stetig wachsenden Stand der Forschung auf ihrem Gebiet zur Kenntnis zu nehmen, um eigene Forschungsfragen formulieren und gegebenenfalls beantworten zu können.

Vor diesem Hintergrund bewirkt ein Boykott, also das vorsätzliche Nichtbeachten von Forschungsergebnisse anderer, gleich ob aus persönlichen oder politischen Motiven, nicht nur eine Schädigung der betreffenden Forscher und ihrer Institutionen, sondern vor allem eine Schädigung der eigenen Forschung, die auf Vorarbeiten zwingend angewiesen ist. Zum wissenschaftlichen Ethos nämlich gehört, dass relevante Forschungserkennnisse ungeachtet der Person, mit deren Namen sie verbunden sind, für die eigene Arbeit berücksichtigt werden müssen.

Die Unterzeichnenden von Boykottaufrufen wie dem «Brief der Wissenschaft» bekunden also ihre Bereitschaft, vorsätzlich die Wissenschaft beschädigen zu wollen, indem sie mit israelischen Forschenden und ihren Institutionen, «die in der Besetzung des palästinensischen Gebiets und der Aufrechterhaltung des Besatzungsregimes verwickelt sind» und überhaupt mit dem israelischen Staat nicht mehr zusammenarbeiten wollen. Wäre sie als Massnahme nicht längst abgeschafft worden, so wäre Relegation von der Hochschule darauf die richtige Antwort.

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