Es ist der unauflösliche Widerspruch aller Populisten von links und von rechts, aber aktuell vor allem von rechts, dass ihre überschiessende Anti-Establishment-Rhetorik eine Eigenlogik aufweist, die letztlich auf eine Verachtung der Demokratie hinausläuft und an dieser, sofern sie sich als einigermassen robust erweist, zerschellen muss.
Zwar mag Anti-Establishment-Rhetorik fester Bestandteil der ameikanischen Politik und vor allem in der Republikanischen Partei zuhause sein, aber dort, wo sie zum zentralen Motiv des Handelns wird, muss sie langfristig in Konflikt mit der Demokratie geraten, die zu retten sie vorgibt. Dieser Prozess ist unausweichlich, denn eine funktionierende Demokratie benötigt ein gewisses Mass an Vertrauen in ihre Institutionen.
Feindbild Medien
Bekanntlich hat Donald Trump sich kurz nach seiner eigenen Wahl als jemand bezeichnet, der kein Politiker sei. Sein beharrliches Leugnen seiner Abwahl hat ihn nun zur Parodie eines Politikers werden lassen, der an der Macht klebt und überall das Komplott eines Establishments wittert, das schon immer gegen ihn war. Die Medien sind für ihn nichts weniger als „der Feind des Volkes“.
Zwar mag es Indizien dafür geben, das bei der letzten Wahl nicht überall alles mit rechten Dingen zugegangen sein könnte, aber wäre es wirklich so, dass ein allmächtiges, von den Demokraten gesteuertes Anti-Trump-Establishment eine Wahl nach Belieben manipulieren kann, dann wäre Amerika schon längst keine Demokratie mehr, die dann auch ein Nicht-Politiker wie Trump nicht mehr retten könnte.
Entweder ist eine Sache wie die amerikanische Demokratie also von Grund auf verdorben, dann kann man sich nur noch von ihr abwenden. Oder es besteht noch Hoffnung, sie zu heilen, dann macht die ganze überbordende Anti-Establishment-Rhetorik keinen Sinn mehr. Es ist dieser unauflöslische innere Widerspruch, an dem der Populismus zugrunde geht.
Ein knapper Sieg
Zumindest solange, wie es starke checks and balances gibt. Anders als die Linken befürchtet haben, hat der Faschismus in Amerika keinen Einzug gehalten. Unter Trump wurde weder die Pressefreiheit eingeschränkt noch Wahlen abgeschafft noch die Unabhängigkeit der Gerichte beendet. Im Kampf Demokratie vs. Trump hat die Demokratie gesiegt – aber eben doch nur knapp.
Die hässlichen Bildern von rechtsextremen Spinnern, die das Kapitol verwüstet haben und sich dabei von einem Präsidenten ermutigt fühlten, der sich von ihresgleichen immer nur halbherzig distanziert hat, werden noch lange in Erinnerung bleiben. Trump hat ein grundsätzliches Misstrauen in die amerikanischen Institutionen gesät und Aufruhr geerntet.
Positiv mit Trumps Namen verbunden sein werden seine Versuche, das iranische Regime einzudämmen, wie auch Israel in der arabischen Welt Freunde verschafft zu haben. Das ist nicht wenig, aber auch nicht genug, um seinen Abgang zu betrauern. Was Trump unsympathisch macht, ist nicht zuletzt sein Eifer, in letzter Minute Todesurteile auf Bundesebene vollstrecken zu lassen.
Wie geht es weiter mit der Republikanischen Partei?
Trump hat zu recht Schiffbruch erlitten, den Zeitpunkt, in Würde das Amt abzugeben, hat er verpasst. Er versinkt in den Trümmern seines Populismus, eine Wiederwahl in vier Jahren kann ausgeschlossen werden. Zu hoffen bleibt, dass die Republikanische Partei sich von Trump erholt. Das ist auch im Interesse der Demokratie, für die ein pulsierender Parteienwettbewerb unabdingbar ist.
Wer auch immer Trumps Nachfolger in der Republikanischen Partei wird, muss vor allem der rabiaten Anti-Establishment-Rhetorik seines Vorgängers abschwören, die überall nur Feinde wittert und das Land in einen Kulturkampf treiben zu müssen glaubt, um ausgerechnet die amerikanische Demokratie zu retten.
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Nachtrag 10. Januar 2021
Im Phoenix-„Presseclub“ schlägt der Journalist Christoph von Marschall in dieselbe Kerbe: Der Aufstieg von Trump hängt wesentlich mit der Diskreditierung der amerikanischen Institutionen zusammen, was viele dazu verführt, ein vermeintliches Widerstandsrecht für sich in Anspruch zu nehmen.
Nachtrag 13. Januar 2021
Drei Blogs der Internet-Zeitung „Times of Israel“ nehmen eine moralische Bewertung der Ära Trump vor. Sie fällt in allen Fällen vernichtend aus. Ein Verfasser zieht eine Parallele zur Weimarer Zeit und glaubt, mit Trump sei der Glaube an ein Amerika der Diversität verlorengegangen, in dem die Juden immer Teil eines grosses Flickenteppichs waren. Ein anderer bemüht den Talmud, der Menschen wie Trump immer verabscheut habe. Ein Dritter räumt mit dem Mythos auf, dass Trump gut für Israel gewesen sei. Dies gelte allenfalls auf kurze, gewiss nicht auf lange Sicht.
Nachtrag 15. Januar 2021
Der Ex-Präsident der Anti-Defamation League (ADL), Abe Foxman, sagt im Interview mit der „Times of Israel“, über Trump: „… he said in 2016, if I don’t win, it would be a rigged election. When he didn’t get the third Emmy for his TV show, he said it was rigged. And he announced here too, that if he doesn’t win this election, it’s rigged.“ Trump stehe für die Zerstörung der Wahrheit, was Konsequenzen habe: „And the attacks on the judiciary and the attacks on the media all undermined elements of our democracy.„
Nachtrag 16. Januar 2021
Die amerikanische konservative Publizistin Amy Chua vergleicht Trump mit Venzuelas ehemaligem Staatschef Hugo Chavez: „Like Trump, Chávez won over millions of the country’s have-nots with his anti-establishment platform, his denunciation of the mainstream media, and his unscripted rhetoric that struck elites as vulgar, outrageous and often plainly false.„
CNN listet eine Auswahl der fünfzehn grössten Lügen von Donald Trump auf – vielleicht sollte man eher sagen: der Beispiele für eine verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung. Dazu gehrt die absurd anmutende Geschichte, dass Trump entgegen der Voraussage des amtlichen Wetterdienstes behauptete, der Hurrikan Dorian werde den Bundesstaat Alabama, das dem amtlichen Wetterdienst zufolge gar nicht bedroht war, besonders stark treffen und später, anstatt seinen Irrtum einzugestehen, eine Wetterkarte mit der Verlaufsbahn des Hurrikan ruppig mit einem Textmarker im Sinne seiner eigenen Vorhersage abänderte.
Nachtrag 17. Juni 2022
Mittlerweile wird deutlich, wie nahe die Aufrührer dem Vizepräsidenten Pence kamen, der sich standhaft weigerte, das Kapitol zu verlassen.