Mehrfach wurde in deutschen Medien darauf hingewiesen, dass der russische Krieg gegen die Ukraine keinesfalls nur auf Putins Konto gehe, stünde doch eine Mehrheit der Russen hinter ihm. Der bekannte russische Exilant Michail Chodorkowskij scherzte bereits, nur noch zwanzig Prozent mehr Unterstützung und Putin stehe da, wo Ceausescu eine Woche vor seiner Hinrichtung stand.
Tatsächlich hat das russische Meinungsforschungsinstitut WCIOM Ende März ermittelt, dass 76% der russischen Bürger Putins Krieg unterstützen. Wirklich? Nein. Genaugenommen unterstützen 76% eine sogenannte „militärische Sonderoperation“ und das ist genau das Problem. Ein Krieg findet für die russischen Medien offiziell gar nicht statt., die Menschen werden manipuliert.
Der russischen Öffentlichkeit wird weisgemacht, es gehe darum, Russland zu schützen, die Ukraine zu entwaffnen und die Ausbreitung der NATO zu verhindern. Das ist es, was die Russen mehrheitlich mehr oder weniger glauben. Die Ukraine zu entnazifizieren, nannten 21% der befragten Russen als Ziel der Operation, an eine Besetzung und Annexion des Landes durch Russland glauben 4%.
Die Frage, wieviele Russen für den Krieg seien, wurde gar nicht gestellt. WCIOM gilt als Kreml-nah, was auch sonst, anderenfalls würde es verboten oder in seiner Arbeit gehindert. Es ist daher alles andere als sicher, ob die Zustimmung für Putins Kurs ebenso hoch wäre, könnten die Befragten sich entsprechend informieren. Doch auch das ist nicht die ganze Wahrheit.
Auf der anderen Seite glaubt die Journalistin Farida Rustamova, die Gelegenheit hatte, mit Leuten vor Ort zu sprechen, dass erst die Sanktionen die Menschen zu Putin getrieben haben und sie mittlerweile seiner Rhetorik Glauben schenken, der gesamte Westen habe sich gegen Russland verschworen. Entgegen dem sonst üblichen Riss zwischen Elite und Bevölkerung sehe man sich nunmehr in einem Boot sitzen.
Es bleibt also kompliziert. Meinungsforschung in einem Land ohne Meinungsfreiheit zu betreiben, ist kaum möglich. Vielleicht wird die russische Bevölkerung eines Tages, mit der Wahrheit konfrontiert, anders über die Dinge urteilen. Bis dahin sollte man sich mit Behauptungen zurückhalten, eine Mehrheit der Russen unterstütze den Krieg.
Nachtrag 7. April 2022
Beim „Foreign Policy Research Institute“ ist Olga Khvostunova ebenfalls zu dem Schluss gekommen, dass Zweifel angebracht seien : „While opinion polls suggest that the majority of Russians do support the “military operation,” these numbers may not reflect what most people actually believe due to a lack of independent data, the framing of the polling questions (e.g., word choice of “military operation” and not “war”), and the general unreliability of Russian opinion polls.„
Nachtrag 10. April 2022
Ohne konkrete Zahlen zu nennen berichtet die „taz“, dass mehr und mehr Menschen in Russland psychologische Krisenhilfe in Anspruch nehmen, was dem anhaltenden Krieg gegen die Ukraine geschuldet sei, der sie zunehmend verunsichert. Immerhin soll die Nachfrage nach Psychologen um 111 Prozent gestiegen sein.
Nachtrag 2. August 2023
Russlands Gas-Krieg geht nach hinten los, resümiert ein Beitrag des European Council on Foreign Relations (ECFR). Das Land ist nicht mehr Hauptgaslieferant der EU, hat es aber nicht geschafft, andere Märkte in dieser Grössenordnung zu erschliessen:
„Currently Gazprom is not able to redirect gas extracted from west Siberian fields and those on the Yamal peninsula to countries outside of Europe and Turkey. There are no gas interconnections that would allow it to export these volumes to Asian markets such as China. The only existing pipeline through which Gazprom can export gas to China is the pipeline launched in December 2019, Power of Siberia, which is not connected to the gas network in western Russia.„
Die Diversifizierung ihrer Gasversorgung ist ein Erfolg für die EU, eine Niederlage für Russland.